8,2 Prozent aller Todesfälle in Österreich wären vermeidbar, wenn die LDL-Cholesterinwerte erreicht werden würden. Das belegt eine Studie des Instituts für Höhere Studien belegt. LDL-Cholesterin (Low Density Lipoprotein) – das „böse Cholesterin“ – ist ein wichtiger Risikofaktor für atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Jährlich sterben rund 30.000 Menschen daran. Damit sind sie Todesursache Nummer 1. Experten fordern nun die Entscheidungsträger auf, Lösungen zu erarbeiten, um diese erschreckend hohe Zahl zu senken. Damit könnten nicht nur Menschenleben gerettet werden, sondern auch eine Milliarde Euro an volkswirtschaftlichen Kosten der Erkrankung eingespart werden.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Linz und Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) betont: „Hätten alle Personen der Risikogruppe im Jahr 2019 ihren LDL-C-Zielwert erreicht, wären damit 6.800 Todesfälle verhindert worden.“
„Diese Situation ist nicht akzeptabel. Wir müssen handeln!“
Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Österreichische Diabetes Gesellschaft
Viel Unwissen rund um erhöhte Cholesterinwerte
Die Experten sehen es als ein großes Problem, dass breiten Teilen der Bevölkerung die Gefahren, die von einem erhöhten LDL-Cholesterinwert ausgehen, nicht bewusst sind. „Bekommt jemand die Diagnose ‚Krebs‘, schrillen alle Alarmglocken. Dass Erkrankungen wie ein mangelhaft eingestellter Diabetes oder eine Herzinsuffizienz eine weit schlechtere Prognose als viele Karzinome haben, ist kaum jemandem bewusst“, stellt der Diabetologe klar.
Es sei auch zu wenig bekannt, dass eine Ernährungsumstellung und Veränderungen des Lebensstils nicht ausreichen, um die Werte ausreichend zu senken. „Es hilft also wenig, nur die Menschen selbst in die Pflicht zu nehmen“, so Clodi. Das Problem müsse von den Verantwortlichen im Gesundheitswesen viel stärker in den Fokus gerückt werden, um das Bewusstsein in der Bevölkerung zu stärken und die Betreuung der Patientinnen und Patienten zu verbessern.
Univ.-Prof. Dr. Peter Siostrzonek, Past-Präsident und Pressereferent der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft (ÖKG) kritisiert, dass zu wenig Betroffene geeignete Therapien erhalten würden. „80 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher, die bereits ein kardiovaskuläres Ereignis wie Herzinfarkt oder Schlaganfall hatten, erreichen ihr Therapieziel nicht“, warnt Siostrzonek. Das liege auch häufig an der nicht ordnungsgemäße Einnahme der Medikamente.
Davon berichtet auch Helmut Schulter, Bundesgeschäftsführer des Österreichischen Herzverbands, der als Vertreter der Betroffenen den Appell der Experten unterstützt. „Unser Ziel müssen mündige Patientinnen und Patienten sein. Menschen, die ihr Blutbild kennen und die Werte verstehen, wissen auch, warum sie ihre Medikamente konsequent einnehmen müssen.“
„Alle Beteiligten müssen die Dramatik erkennen. Damit könnten tausende Leben pro Jahr gerettet werden!“
Helmut Schulter, Herzverband
Patientinnen und Patienten in Therapie einbinden
Dahingehend sind sich die Experten einig, dass die Betroffenen im Sinne eines „shared desicion makings“ aktiver in ihre Behandlungen eingebunden werden müssen. „Bindet man Betroffene in die Applikation ein, stärkt das die aktive Beteiligung und damit die Adhärenz. Es gibt also Möglichkeiten. Wir müssen sie nur umsetzen“, fordert Siostrzonek.
„Erhöhte Cholesterinwerte sind eine stille Gefahr, an die oft erst gedacht wird, wenn es zu spät ist.“
Univ.-Prof. Dr. Peter Siostrzonek
Und er hat auch einen Lösungsvorschlag: „Eine Zusammenführung der oft bereits verfügbaren Daten wäre wichtig, um die Situation zu verbessern. Auch die Ärztinnen und Ärzte im niedergelassenen Bereich müssten deutlich besser eingebunden werden. Neue Technologien könnten sogar kurzfristig helfen. Zum Beispiel ein Software-Tool, das die Ärzte bei der Identifikation von Risikopatientinnen und -patienten unterstützt. Dieses könnte es ermöglichen, aufgrund von Risikoparametern jene Patientinnen und Patienten zu erheben, die genauer beobachtet werden müssen.“
Ein derartiges Screening sollte schon in Schulalter oder sogar im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen angesetzt werden. So könnten jene Bevölkerungsgruppen identifiziert werden, die eine vererbte Hypercholesterinämie haben.
Pressekonferenz „Cholesterin – die „stille Epidemie“, 28.7.2022