Zusammenfassung
Factbox: Verhaltenstherapie
Synonyme: Verhaltenstherapie, kognitive Verhaltenstherapie
Grundannahme: Menschliches Verhalten und Einstellungen sind erlernt und können daher auch wieder verändert oder neu gelernt werden
Grundprinzipien: Problemorientierung, Ansatz an den Problembedingungen, Zielorientierung, Handlungsorientierung, keine Begrenzung auf das therapeutische Setting, Transparenz, Hilfe zur Selbsthilfe
häufige Methoden: kognitive Techniken, Reizkonfrontation, operante Verfahren, Modell-Lernen, Aufbau von Kompetenzen, störungsspezifische Methoden
Hauptindikationsbereiche: Angststörungen, Zwangsstörungen, Depressionen, Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Suchterkrankungen, Psychosen, hirnorganische Störungen, körperliche Erkrankungen wie chronische Schmerzen, Asthma, Tinnitus u.a.m.
Was versteht man unter einer Verhaltenstherapie?
Die Theorie der Verhaltenstherapie geht davon aus, dass menschliches Verhalten und unsere Einstellungen erlernt sind und daher auch wieder verändert oder neu gelernt werden können. Die Basis für die Entwicklung der heutigen Verhaltenstherapie stellen die berühmten Experimente zur klassischen Konditionierung des russischen Psychologen Ivan Pawlow dar. Er fand heraus, dass man Hunde durch gezieltes Training darauf konditionieren kann, das Läuten einer Glocke mit der Gabe von Futter zu verbinden und entsprechend darauf zu reagieren. Reaktionen auf Reize werden auch vom Menschen erlernt. Wir gehen zum Beispiel zum Telefon, wenn es läutet.
In psychischer Hinsicht problematisch wird das, wenn etwas gelernt wurde, das sich langfristig als ungünstig erweist, denn durch ungünstige oder belastende Lernerfahrungen können nach dieser Theorie auch psychische Störungen entstehen. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch nicht unmittelbar nachweisbare Gefühle, Gedanken, Motive und Bewertungen – so genannte Kognitionen. Auch sie können „fehlerhaft“ bzw. für Betroffene ungünstig sein – etwa wenn man dazu neigt, vieles negativ zu bewerten. Auch das wird in der modernen Verhaltenstherapie verstärkt beachtet – man spricht daher heute auch von kognitiver Verhaltenstherapie und geht zudem davon aus, dass „falsche“ Verhaltensweisen, die man erlernt hat, auch wieder verlernbar sind und dass man sich positive Verhaltensweisen neu aneignen kann.
Anders als in anderen Psychotherapierichtungen wie etwa der Psychoanalyse geht es in der Verhaltenstherapie nicht darum zu verstehen, warum welche Probleme aus der Vergangenheit (Kindheit) zu einer bestimmten Symptomatik geführt haben, sondern der Fokus wird auf die Gegenwart und auf aktuelle Probleme und konkrete Situationen aus dem Alltag der Patienten gelegt. Dabei steht die Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund. Das heißt, dass die Patienten ihr Leben so rasch wie möglich wieder ohne die Hilfe eines Therapeuten bewältigen können sollen.
Grundprinzipien der Verhaltenstherapie
- Problemorientierung: Die Therapie setzt in der Regel an der momentan bestehenden Problematik an.
- Ansatz an den Problembedingungen: Es werden verschiedene Problembedingungen unterschieden und die Interventionen setzen dort an, wo für die dauerhafte Lösung eines Problems Änderungen notwendig sind.
- Zielorientierung: Nach der Identifikation des Problems legen Therapeut und Patient gemeinsam ein Therapieziel fest.
- Handlungsorientierung: Es geht nicht (nur) um die Einsicht und das Reflektieren von Problemen, sondern der Patient muss sich auch aktiv an der Therapie beteiligen und etwa neue Verhaltensweisen und Problemlösestrategien ausprobieren.
- Keine Begrenzung auf das therapeutische Setting: Neu erworbene Strategien müssen regelmäßig zwischen den Sitzungen ausprobiert und geübt werden.
- Transparenz: Der Patient wird genau aufgeklärt, sodass er seine Lage verstehen und die Therapiemaßnahmen gut akzeptieren kann.
- Hilfe zur Selbsthilfe: Durch Transparenz und die Erhöhung der allgemeinen Problemlösefähigkeit erhält der Patient generelle Fertigkeiten zur selbstständigen Analyse und Bewältigung zukünftiger Probleme.
Methoden und Techniken der Verhaltenstherapie
Es gibt mittlerweile über 50 verschiedene Einzelverfahren, die je nach Beschwerdebild und individueller Ausprägung einzeln oder in Kombination zum Einsatz kommen können. Die bekanntesten und am häufigsten eingesetzten sind:
kognitive Techniken: Ausgangspunkt dafür ist die Annahme, dass etwa Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen mit negativen, realitätsfremden und verzerrten Denkmustern wie Verallgemeinerungen, einseitiger Themenwahl und Schwarz-Weiss-Denken zusammenhängen. Daher geht es in der Therapie darum, sich selbst zu beobachten, Probleme zu identifizieren, individuelle Blockaden zu erkennen, Alternativen zu entwickeln und auszuprobieren und im Anschluss daran die eigenen Denk- und Verhaltensmuster neu zu bewerten – etwa durch bewusste Distanzierung oder positive Umdeutung.
Reizkonfrontation (Exposition): Sie zielt auf den Abbau von Ängsten, wobei vor allem dem Vermeidungsverhalten entgegengewirkt werden soll. Das geschieht zum Beispiel mit systematischer Desensibilisierung, bei der man davon ausgeht, dass ängstliche Erregung und körperliche Entspannung nicht gleichzeitig bestehen können. Deshalb soll der Patient seine Angst bewältigen, indem er unter Einsatz von Entspannungsmethoden schrittweise mit dem Angst auslösenden Objekt oder der beängstigenden Situation konfrontiert wird – in einem Zustand der Entspannung. Die spezifische Situation soll von Beginn an angstfrei erlebbar werden.
Operante Verfahren: Hier geht es vor allem darum, neues, erwünschtes Verhalten über zumeist positive Verstärker wie etwa Lob, Zuwendung oder materielle Dinge zu bewirken bzw. zu verfestigen. Der Patient kann mitbestimmen, welche Verstärker das sein sollen.
Modell-Lernen: Es basiert auf der Tatsache, dass Menschen komplexe Verhaltensweisen bei Personen mit Vorbildfunktion beobachten, nachahmen und ggf. in ihr eigenes Verhaltensrepertoire übernehmen. Modell-Lernen wird zum Beispiel bei Zwangsstörungen eingesetzt, wobei der Therapeut vorführt, wie etwa „normales“ Händewaschen oder Kontrollieren der Haustür abläuft.
Aufbau von Kompetenzen: Hier geht es um den Aufbau von bestimmten Fähigkeiten in persönlich unterentwickelten Bereichen. So kann etwa ein Patient mit Sozialphobie mittels Kontakttraining lernen, eigene Ansprüche zu haben, sie zu äußern und sich selbst zu behaupten.
Störungsspezifische Methoden: Darunter versteht man Methoden, die speziell für bestimmte Störungsbilder wie etwa die Borderline-Störung oder chronische Depressionen entwickelt wurden.
Was passiert bei einer Verhaltenstherapie?
Zu Beginn der Therapie versucht der Therapeut, gemeinsam mit dem Patienten das eigentliche Problem zu analysieren und das dahinter liegende Verhaltensmuster zu erkennen. Dabei geht es darum herauszufinden, welche Bedingungen bestimmte Reaktionen des Patienten verursachen oder aufrechterhalten, wie der oder die Betroffene damit umgeht und welche Konsequenzen folgen. Danach werden die Therapieziele definiert, die Behandlungsprinzipien erklärt und ein genauer Therapieplan festgelegt. In einem weiteren Schritt werden die passenden Methoden gewählt.
Ein Kernstück der Verhaltenstherapie ist die aktive, übende Mitarbeit des Patienten, der zwischen den Sitzungen Hausaufgaben erhält, der er oder sie alleine durchführen soll. Solche Hausaufgaben sind zum Beispiel das Protokollieren von Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen, die Überprüfung von Vorannahmen, das Üben spezieller verhaltenstherapeutischer Techniken oder das Experimentieren mit neuen Verhaltensweisen.
Die Therapie endet in der Regel, wenn das Behandlungsziel erreicht ist, und da die Verhaltenstherapie die Hilfe zur Selbsthilfe als Prinzip hat und Patienten zu Experten in eigener Sache machen will, sollten sie im Anschluss an die Therapie dazu in der Lage sein, ihre Probleme im Alltag grundsätzlich besser lösen zu können.
Eine Verhaltenstherapie wird in Einzel-, Paar- oder Gruppensitzungen durchgeführt, und die therapeutischen Interventionen finden teilweise im natürlichen Lebensumfeld statt, also dort, wo die Problematik unmittelbar erlebbar und somit veränderbar wird.
Die Dauer der Behandlung variiert je nach Problemstellung von einigen Sitzungen bis zu mehreren Jahren.
Hauptindikationsbereiche der Verhaltenstherapie
- Angststörungen
- Zwangsstörungen
- Depressionen
- Essstörungen
- Persönlichkeitsstörungen
- Suchterkrankungen
- Psychosen (zusätzlich zu anderen Maßnahmen)
- hirnorganische Störungen
- körperliche Erkrankungen wie etwa chronische Schmerzen, Diabetes, Asthma, Neurodermitis, Hypertonie, Tinnitus u.a.m.
Margraf J.: Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Band 1, Springer: Heidelberg 2009.
https://www.kli.psy.ruhr-uni-bochum.de/klipsy/public/margraf%20books/Band1-Kapitel1.pdf, Abruf Juli 2021
Brakemeier/Jacobi: Verhaltenstherapie in der Praxis, Beltz: Weinheim 2017.
Lieb K. Et al.: Verhaltenstherapie
https://www.leading-medicine-guide.at/behandlung/verhaltenstherapie, Abruf Juli 2021
https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/therapie/psychotherapie/verhaltenstherapie/, Abruf Juli 2021
https://www.oegvt.at/default.aspx?pid=2, Abruf Juli 2021
https://www.gesundheitsinformation.de/kognitive-verhaltenstherapie.html, Abruf Juli 2021