Zusammenfassung
Factbox
Narzissmus, Narzisstische Persönlichkeitsstörung: Der Begriff beschreibt die Eigen- oder Selbstliebe, die ein Mensch in übertriebener Weise für sich selbst empfindet
Prävalenz: ca. ein Prozent
Ursache: bio-psycho-sozial: Narzissten haben eine genetische Veranlagung die zum Ausbruch der Erkrankung beiträgt. Sie zeigen ein Bedürfnis nach Zuwendung und Aufmerksamkeit, die häufig durch eine Verknüpfung von Leistung und Anerkennung in der Erziehung, fehlende emotionale Wärme in der Familie, materielle Verwöhnung und unzureichende Grenzen begünstigt wird
Symptome: Gefühl der Grandiosität; Phantasien von unbegrenztem Erfolg, Macht, Intelligenz,…; Glaube an die eigene Einzigartigkeit; Wunsch nach bedingungsloser Bewunderung; Gefühl des Anspruchs; Ausnutzung anderer; Empathiemangel; Neid auf andere, Überheblichkeit.
Symptome müssen im frühen Erwachsenenalter begonnen haben
Therapie: psychoanalytische und verhaltenstherapeutische Verfahren
Narzissmus und narzisstische Persönlichkeitsstörung
Narzisstische Wesenszüge haben viele Menschen und man gewinnt auch zunehmend den Eindruck, dass das Muster des Narzissmus sich heute immer weiter verbreitet. Meist ist damit etwas gemeint, das mit Selbstbewunderung, Egozentrismus, starkem Geltungsbedürfnis und mangelnder Empathie anderen Menschen gegenüber beschrieben wird und das ein abwertendes Urteil enthält. Abgesehen davon, dass wahrscheinlich jeder Mensch in mehr oder weniger ausgeprägter Form narzisstische Anteile hat, ist Narzissmus per se nicht rein negativ, denn er bringt Menschen im besten Fall auch dazu, eigene Interessen und Ziele zu verfolgen, sich durchsetzen und ein hohes Maß an Leistung bringen zu können. Plus: Personen mit moderat ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen haben sogar niedrigere Werte für Depression, Angst und Einsamkeit sowie ein höheres subjektives Wohlbefinden.
Anders liegt der Fall bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung, bei der die Betroffenen ein starres, stark ausgeprägtes narzisstisches Verhaltensmuster zeigen und bei der sowohl sie selbst als auch ihre Umwelt an den Folgen ihres Narzissmus leiden. Die Häufigkeit der Störung in der Allgemeinbevölkerung liegt bei etwa einem Prozent.
Mythos und Realität
Was den Begriff Narzissmus betrifft, so geht er auf die griechische Mythologie zurück: Narziss war ein wunderschöner Jüngling, der sich leidenschaftlich in sein eigenes Spiegelbild im Wasser verliebte und daran zugrunde ging, dass er nicht fähig war, den Blick von sich selbst abzuwenden. Dieser Mythos enthält einige Wahrheit über die Wirklichkeit von Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Betroffene neigen dazu, sich nach außen hin als großartig zu präsentieren, überschätzen dabei ihre eigenen Fähigkeiten oder stellen sie besser dar, als sie es in Wahrheit sind. Ihr Ziel ist die Zuwendung und vor allem Anerkennung anderer, und es geht ihnen oft darum, den eigenen Willen durchzusetzen. Das kann dazu führen, dass sie andere ausbeuten oder aus Neid deren Leistungen abwerten.
Im scheinbaren Widerspruch zu dieser Art von Selbstbewunderung und übersteigertem Egozentrismus steht das mangelnde Selbstwertgefühl von Narzissten, ihre große Empfindlichkeit gegenüber Kritik und eine innere Leere, die sie nicht selten mit übersteigerter Aktivität, Hypersexualität oder Drogenkonsum zu kompensieren versuchen. Oft wird ihnen auch mangelnde Empathie zugeschrieben, und tatsächlich können Menschen mit einer narzisstischen Störung im Grunde nicht an dem, was andere betrifft, Anteil nehmen. Andererseits verfügen sie oft über eine hohe kognitive Empathie. Das bedeutet, dass sie sehr wohl und sehr deutlich wahrnehmen, was sich ihr Gegenüber wünscht, und sie sind daher dazu fähig, andere erfolgreich zu manipulieren.
Narzissten und ihre Beziehungen
Eben diese Fähigkeit macht Narzissten vor allem zu Beginn von partnerschaftlichen Beziehungen für andere interessant. Sie können sich aufmerksam verhalten und dem anderen das Gefühl vermitteln, ein wichtiger Mensch zu sein. Narzissten suchen oft Partner, die etwas Besonderes zu bieten haben, denn das erhöht auch ihren eigenen Selbstwert. Häufig fällt es ihnen jedoch schwer, in einer Partnerschaft treu zu sein. Die Beziehung ist für sie in erster Linie eine Befriedigung ihres Bedürfnisses nach Bestätigung und Bewunderung, und sie akzeptieren, verstehen und nehmen den Partner oder die Partnerin in der Regel nicht in ihrem „So sein“ wahr. Psychotherapeuten berichten zudem von einem häufigen Muster der Paarbeziehung zwischen Narzissten und Ko-Narzissten: Der eine sucht und genießt Bewunderung, Verehrung und Bestätigung, der andere fühlt sich durch die scheinbare Grandiosität des Partners aufgewertet.
Die Folgen von zu wenig oder zu viel Anerkennung
Was Ursachen und Entstehung der narzisstischen Persönlichkeitsstörung betrifft, so geht man von einem bio-psycho-sozialen Modell aus. So sollen genetische Faktoren eine Rolle spielen, da narzisstische Persönlichkeitseigenschaften familiär gehäuft auftreten. Zudem wurde eine Dysbalance von Neurotransmittern wie Serotonin, Noradrenalin und Dopamin im Gehirnstoffwechsel beobachtet. Nicht zuletzt gibt es auch einen Einfluss von Erziehung und sozialem Milieu. Die Störung kann begünstigt werden, wenn Eltern dem Kind wenig Anerkennung schenken, wenig einfühlsam sind und es eventuell auch überfordern. Das narzisstische Verhalten, bei dem ständig die eigenen Fähigkeiten betont werden und es zu einer überhöhten Selbstdarstellung kommt, ist demzufolge als Reaktion des Kindes auf die fehlende elterliche Anerkennung zu sehen. Andere Theorien gehen davon aus, dass die Ursachen für die Störung darin liegen, dass die Eltern ihr Kind in seinen ersten Lebensjahren zu positiv behandelt haben, wodurch sich beim Kind das Selbstbild der Grandiosität und Selbstüberschätzung entwickelt hat.
Diagnose der narzisstischen Persönlichkeitsstörung
In der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) wird die narzisstische Persönlichkeitsstörung nur sehr knapp unter der Kategorie F 60.8 unter „sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen“ angeführt.
Im wichtigsten psychiatrischen Klassifikationssystem der USA (DSM) gibt es eine ausführlichere Beschreibung. Um die Diagnose stellen zu können, muss ein anhaltendes Muster von Grandiosität, Bewunderung und mangelndem Mitgefühl bestehen, und es müssen mindestens fünf der folgenden Kriterien vorhanden sein:
– ein übertriebenes, unbegründetes Gefühl der eigenen Bedeutung und Talente (Grandiosität)
– die Beschäftigung mit Phantasien von unbegrenzten Erfolgen, Einfluss, Macht, Intelligenz, Schönheit oder vollkommener Liebe
– der Glaube, dass man speziell und einzigartig ist und sich nur mit Menschen auf höchstem Niveau verbinden sollte
– der Wunsch, bedingungslos bewundert zu werden
– ein Gefühl des Anspruchs
– Ausnutzung anderer, um die eigenen Ziele zu erreichen
– ein Mangel an Empathie
– Neid auf andere und der Glaube, dass andere einen beneiden
– Überheblichkeit und Hoffart
Die Symptome müssen im frühen Erwachsenenalter begonnen haben.
Häufige Begleiterkrankungen
Menschen, die an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden, entwickeln oft auch begleitende, weitere Störungen wie etwa Depressionen, bipolare Störungen, Somatisierungsstörungen, ADHS, Suchterkrankungen, Essstörungen oder andere Persönlichkeitsstörungen.
Schwierige Therapie
Für die Behandlung von narzisstischen Störungen gibt es mehrere unterschiedliche Therapieformen. Sie stammen vor allem aus dem Bereich der Psychoanalyse, aber auch Verfahren wie etwa die Schematherapie, die sich aus der Verhaltenstherapie heraus entwickelt hat, gelten als wirkungsvoll.
Allerdings suchen Betroffene oft nur deshalb Hilfe, weil andere Probleme mit ihnen haben und nicht deshalb, weil sie ein Problem bei sich selbst sehen. Und: Für die adäquate Bearbeitung der problematischen Beziehungsfähigkeit, der Selbstidealisierung und der fehlenden Empathie braucht es meist sehr lange Therapieprozesse.
Selbsttest
Johanna Winkler, die Leiterin der Psychiatrie im Linzer Wagner-Jauregg-Krankenhaus hat einen Selbsttest zusammengestellt, anhand dessen man feststellen kann, ob man narzisstische Züge hat. Mit zunehmender Häufigkeit von „Ja-Antworten“ steigt auch die Ausprägung von Narzissmus.*
– Legen Sie Wert darauf, schöner, besser oder erfolgreicher als andere zu sein?
– Werden Sie häufig bewundert?
– Imponieren Sie andere als Persönlichkeit?
– Verlassen Sie sich häufig auf sich selbst?
– Ist es anderen Personen eine Ehre, mit Ihnen befreundet zu sein?
– Ist Ihnen Ihre Meinung wichtiger als die der anderen?
– Brauchen Sie die Anerkennung anderer für Ihren Selbstwert?
– Fühlen Sie sich gekränkt, wenn Sie jemand kritisiert?
– Tun Sie sich schwer, die Gefühle anderer wahrzunehmen oder sich mit den Gefühlen anderer zu identifizieren?
*Dieser Test stellt nur eine Orientierung dar und ersetzt keinen Arztbesuch
Marc Walter, Oliver Bilke-Hentsch: Narzissmus. Grundlagen – Formen – Interventionen. Kohlhammer: Stuttgart 2020.
Russ, E., Shedler, J., Bradley, R. & Westen, D. (2008), Refining the Construct of narcissistic personality
disorder: diagnostic criteria and subtypes. Journal of Psychiatry, 165, 1473-1481
Angelika Völkel: Narzissmus und narzisstische Persönlichkeitsstörung https://www.therapie.de/fileadmin/dokumente/Presseartikel/therapiede_dossier_narzissmus.pdf, abgerufen am 22.4.2021
Werner Stangl: Der Narzissmus – eine Persönlichkeitsstörung. https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOGNITIVEENTWICKLUNG/Narzissmus.shtml, abgerufen am 22.4.2021
Birgit Völkel: https://www.pschyrembel.de/Narzisstische%20Persönlichkeitsstörung/K00CF, abgerufen am 22.4.2021