OA Priv.Doz. Dr. Beate Schrank, MSc PhD, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin in 1180 Wien beantwortet in dieser Video-Sprechstunde Fragen rund um das Thema „Metastasierender Brustkrebs“.
Diagnose metastasierter Brustkrebs: Was bedeutet das für die Patientinnen und ihr Umfeld?
OA Priv.Doz. Dr. Beate Schrank, MSc PhD: Ich denke, zunächst ist es ganz wichtig zu sehen, dass jede Frau individuell ist. Damit ist auch die Bedeutung einer solchen Diagnose individuell unterschiedlich und stark abhängig von der Lebenssituation der betroffenen Frau. Ganz allgemein gesprochen, kann man sagen, die Diagnose „metastasierter Brustkrebs“ bedeutet eine Perspektivenänderung. Metastasierter Brustkrebs ist ja eine zumeist chronisch verlaufende Krankheit, die man über lange Zeit sehr gut managen kann, aber letztlich ist es eine unheilbare Krankheit. Die Perspektive „Heilung“ existiert nicht mehr, und die eigene Lebenszeit ist ab jetzt begrenzt. Das heißt, die betroffene Person muss sich mit dem Tod auseinandersetzen und das passiert natürlich auch dann, wenn der Brustkrebs metastasiert ist, aber noch nicht in einem fortgeschrittenen Stadium und die betroffene Frau noch eine lange, absehbare und gute Lebenszeit vor sich hat. In jedem Fall wird die zeitliche Perspektive klar. Diese scheinbare Unendlichkeit des Lebens hört auf und das macht natürlich etwas mit einem selbst, aber auch mit der Umgebung.
Welche psychischen Herausforderungen müssen Patientinnen bewältigen?
Metastasierter Brustkrebs ist eine Erkrankung mit Höhen und Tiefen. Oft ist das Leben der Patientinnen geprägt durch eine Art Achterbahnfahrt, durch Hoffen, Warten, Kämpfen und Rückschläge in Verbindung mit Angst, Verzweiflung und Resignation. Anschließend keimt wieder Hoffnung auf und es beginnt ein weiterer Kampf und die nächste Runde Therapien. Dieses Auf und Ab, dieses Wechselbad der Gefühle zwischen Verleugnung einerseits und Überschwemmung andererseits, hält bei den meisten Patientinnen bis zum Schluss an. Hier ist es gut jemanden zu haben, um dies auch bewusst zu reflektieren. Es geht darum, das Annehmbare möglich zu machen und die Situation so anzunehmen, wie sie gerade ist. Es geht auch darum die eigene „Endlichkeit“ anzunehmen. Manchmal funktioniert das und manchmal funktioniert das nicht.
Wenn es nicht funktioniert, kommen dann folgende Gedanken: Vielleicht geht ja doch noch was? Vielleicht kann ich es doch noch schaffen, bis mein Kind 18 Jahre alt ist? Beides hat absolut seine Berechtigung. Das Annehmen und auch das Verdrängen, das Verhandeln. Es geht eben genau das, was die Psyche gerade annehmen kann.
Welche Rollen tragen Familie und Angehörige?
OA Priv.Doz. Dr. Beate Schrank, MSc PhD: Die chronische Erkrankung ist eine Herausforderung für das ganze System und Angehörige spielen hier die zentrale Rolle. Alle benötigen Zeit und Kommunikation, um mit der neuen Situation umzugehen. Zum Beispiel ist es sehr wichtig herauszufinden: Was ist das richtige Maß an Unterstützung? Es besteht hier die Gefahr, die betroffene Frau nur noch in der Patientenrolle zu sehen und ihr alle anderen Rollen abzuschreiben. Hier ist es wichtig sich folgende Frage zu stellen: Wo unterstütze ich und wo entmündige ich vielleicht schon? Die Angehörigen sollten sich ermutigt fühlen, die Kompetenzen trotzdem bei der Frau zu lassen. Zum Beispiel, wenn „Mama“ zum Elternsprechtag gehen möchte, dann darf sie das tun, auch wenn es schwer für sie ist. Die Patientenrolle soll sich nicht auf den ganzen Lebensraum ausdehnen. Es gibt viele Bereiche und Rollen, da ist man bis zum Schluss nicht nur Patientin. Man ist beispielsweise auch Freundin, Ehefrau oder Mutter.
Stigma metastasierter Brustkrebs: Warum und was bedeutet das für alle Betroffenen?
OA Priv.Doz. Dr. Beate Schrank, MSc PhD: Auch heute noch ist Krebs im Allgemeinen und damit auch „metastasierter Brustkrebs“ mit einem Stigma behaftet. Es besteht dann die Einstellung, dass es in der Umgebung niemand wissen sollte. Die Frage ist: Was ist die Angst dahinter? Diese Angst kann von realer sozialer Ausgrenzung, bis hin zu der Idee, dass Krebs irgendwie ansteckend wäre, reichen. Besonders schwierig ist diese Situation oftmals im Beruf. Hier kann eine tatsächliche Existenzbedrohung bestehen, beispielsweise die Gefahr gekündigt zu werden, weil absehbar ist, dass Fehlzeiten aufkommen werden und dass man weniger leisten kann. Viel von dem empfundenen Stigma, von der erlebten sozialen Isolation kommt, denke ich, von der „Endlichkeit“. Mit der Diagnose „metastasierter Brustkrebs“ hat man plötzlich ein Ablaufdatum bekommen. Das macht nicht nur etwas mit der Patientin selbst, sondern auch mit allen anderen in der Gesellschaft. Es macht Angst und es führt jedem/jeder seine eigene „Endlichkeit“ vor Augen.
Hoffnung und positives Denken
OA Priv.Doz. Dr. Beate Schrank, MSc PhD: Hoffnung wird oft als zentral beschrieben. Frauen berichten, dass Hoffnung letztlich das Wichtigste war um die schwierige Zeit des Wartens und des Kämpfens zu überstehen. Aber es darf auch nicht zu einer Tyrannei der Hoffnung kommen oder zu einer Tyrannei des positiven Denkens. Viele Frauen berichten, dass sie ganz fest versuchen, positiv zu denken, aber es will ihnen nicht so richtig gelingen. Sie haben das Gefühl, sie müssen positiv denken, denn es wird von ihnen erwartet. Dann gibt es diese Idee, dass positives Denken den Krankheitsverlauf günstig beeinflusst. Das macht Druck und kann zu Schuldgefühlen führen und ich denke, es ist wichtig, diesen Druck herauszunehmen. Positives Denken kann das Wohlbefinden fördern und es kann die Lebensqualität steigern, aber negatives Denken beeinflusst den Krebs selbst nicht negativ. Das heißt, die Progression ist nicht verursacht durch zu wenig positives Denken. Positives Denken ist gut, aber negatives Denken ist nicht schlecht – es ist keine Gefahr. Ganz im Gegenteil: Negatives Denken kann manchmal sogar besser helfen, Ängste zu bewältigen und die Situation richtig und realistisch einzuschätzen.
Unterstützungsangebote für Betroffene
OA Priv.Doz. Dr. Beate Schrank, MSc PhD: Was Betroffene und auch Angehörige in dieser Situation besonders brauchen, ist Information, und hier helfen nicht nur Onkologinnen und alle anderen mit dem Thema befassten Expertinnen im Gesundheitssystem, sondern besonders auch Selbsthilfegruppen.
Selbsthilfegruppen bieten nicht nur Information, sondern auch Rat, die Möglichkeit zum persönlichen Austausch und diese ganz wichtige Gewissheit, nicht allein zu sein mit seinen Problemen. Hier gibt es zum Beispiel die „Krebshilfe“ oder beispielsweise für Kinder in Krisen die „Boje“, die helfen und begleiten kann. Zusätzlich gibt es niedergelassene Psychologinnen und Therapeutinnen mit entsprechenden Zusatzqualifikationen. Es kann aber auch passieren, dass die Belastung einfach zu groß wird und dass Schlafstörungen und Depressionen entstehen. Hier können Fachärzte der Psychiatrie helfen und dabei ist es auch absolut in Ordnung, auch medikamentöse Hilfe anzunehmen. Mit dem Stigma bezüglich Psychopharmaka sollten sich Patientinnen nicht zusätzlich belasten. Wenn beispielsweise ein Antidepressivum helfen kann, dann darf ich mir das als Patientin auch gönnen. Psychiaterinnen können hier beraten und Medikamente verordnen, die mit der bestehenden Krebsmedikation zusammenpassen.