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Medikamentenabhängigkeit

Die Medikamentenabhängigkeit ist eine „stille“ Suchterkrankung, die durch die Einnahme von Arzneimitteln mit Abhängigkeitspotential ausgelöst wird. Vor allem Schmerz-, Beruhigungs- und Schlafmittel haben ein hohes Suchtpotenzial und können beim Absetzen zu körperlichen und psychischen Entzugserscheinungen führen. Lesen Sie hier alles zu Ursachen, Symptomen, Diagnose und Therapie der Medikamentenabhängigkeit.

Zusammenfassung

Factbox

Medikamentenabhängigkeit, Arzneimittelsucht, Medikamentensucht: Suchterkrankung, die durch die Einnahme von Arzneimitteln mit Abhängigkeitspotential ausgelöst wird

Ursache: häufig zunächst Verschreibung durch den Arzt, in Folge weitere Einnahme aufgrund psychischer und sozialer Faktoren, genetische Faktoren,  Vorbildwirkung des sozialen Umfelds im Umgang mit Medikamenten, fehlende Kontrolle

Medikamente mit Suchtpotenzial: Schlaf- und Beruhigungsmittel, Schmerz- und Betäubungsmittel, Anregungsmittel und Appetitzügler, weiters  Nasentropfen und -sprays mit abschwellender Wirkung, Abführmittel, Wachstums- und Sexualhormone, alkoholhaltige Arzneimittel

Symptome: Bei Abhängigkeit von Schlaf- oder Beruhigungsmitteln: Leistungseinbußen, Verflachung der Interessen, allmähliche Veränderung der Persönlichkeit. Bei Absetzen: Schlafstörungen, Angst, innere Unruhe, Übelkeit, Kopfschmerzen, Zittern, Reizbarkeit, Krampfanfälle, eventuell Wirkungsumkehr
Bei Abhängigkeit von opioidhältigen Schmerzmitteln: Dauerkopfschmerz. Bei Absetzen: Kopfschmerzen, Zittern, Schlafstörungen, Unruhe, Verspannung, Bewusstseinsstörungen
Bei Abhängigkeit von Anregungsmitteln und Appetitzüglern: Müdigkeit, Verlangsamung, Unruhe, Schlafstörungen, schwere Depressionen bis Suizidneigung   

Diagnosekriterien: wiederholter Konsum, sodass wichtige Verpflichtungen in Arbeit, Schule oder zu Hause vernachlässigt werden, Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommt, Toleranzentwicklung oder Substanzkonsum, um Entzugssymptome zu vermeiden,  Kontrollverlust, anhaltender Kontrollwunsch oder erfolglose Versuche der Kontrolle, hoher Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von der Wirkung des Konsums zu erholen, fortgesetzter Gebrauch, obwohl körperliche oder psychische Probleme bekannt sind,  starkes Verlangen oder Drang, die Substanz zu konsumieren (Craving)  

Behandlung: schrittweiser Entzug der Substanz über mehrere Wochen oder Monate, Beratung, Psychotherapie oder eine stationäre Behandlung über einen längeren Zeitraum, Psychoedukation  

Vorbeugung: Konsum von potenziell süchtig machenden Substanzen nur bei echtem Bedarf, in möglichst niedriger Dosierung und über maximal vier bis sechs Wochen  

Behandelnde Ärzte: Allgemeinmediziner, Anästhesisten, Orthopäden, Ärzte mit Zusatzqualifikationen; weitere Behandler: Psychotherapeuten; stationärer Teil der Medikamentenentwöhnung: Suchtbehandlungszentren, oft auch Allgemeinkrankenhäuser.  

Was ist Medikamentenabhängigkeit?

Wir alle sind es gewohnt, bei Beschwerden zu Medikamenten zu greifen – etwa gegen Schlaflosigkeit, Schmerz, Allergien oder Verdauungsprobleme. In der Regel werden diese Medikamente – oft großzügig – von Ärzten verordnet beziehungsweise verlangen wir in bestimmten Situationen schnell nach solchen Rezepten oder medikalisieren uns selbst mit verschreibungsfreien Substanzen, um möglichst rasch wieder zu funktionieren.
Immer öfter führt der gebräuchliche Griff nach Arzneimitteln zu Missbrauch und Abhängigkeit.

Das heißt, dass Betroffene Medikamente auch ohne entsprechende medizinische Notwendigkeit, in unangemessen hohen Dosen und über unangemessen lange Zeiträume verwenden. Das wiederum kann rasch nicht nur zu körperlichen und psychischen Schäden, sondern auch zu Abhängigkeit von diesen Substanzen führen, wobei diese Abhängigkeit oft über Jahre oder sogar Jahrzehnte unbemerkt bleibt: Betroffene fallen im Vergleich zu anderen Suchtkranken sozial nicht auf, weil es bei Medikamenten meist keinen offensichtlichen Rauschzustand gibt. Deshalb spricht man im Zusammenhang mit der Medikamentenabhängigkeit auch von einer stillen Sucht, und das obwohl die Zahl der Betroffenen sehr hoch ist und kontinuierlich steigt.*

Dritthäufigste Sucht
Schätzungen zufolge verwenden in Österreich rund 150.000 Menschen Medikamente missbräuchlich beziehungsweise sind davon abhängig. Schon jetzt ist die Medikamentenabhängigkeit (nach Nikotin- und Alkoholabhängigkeit) die dritthäufigste Sucht in Österreich, und was die Dunkelziffer betrifft, so liegt die Zahl der diesbezüglich Abhängigen noch wesentlich höher und wird von führenden Experten mit bis zu 300.000 angegeben.
Frauen sind doppelt so häufig wie Männer von Medikamentenabhängigkeit betroffen, einen sehr großen Anteil an Arzneimittelabhängigen findet man auch unter alten Menschen. So erhält ein Drittel der über 70-jährigen so genannte psychotrope Substanzen, die über die Zentralnerven Einfluss auf die Psyche des Menschen nehmen und insbesondere Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Handeln verändern. Weitere Hochrisikogruppen sind Patienten mit anderen Abhängigkeitserkrankungen und sonstigen psychischen Störungen sowie drogenerfahrene Jugendliche.

In Summe besitzen vier bis fünf Prozent aller häufig bis sehr häufig verordneten Medikamente ein Potenzial für Missbrauch und Abhängigkeit. Dazu zählen vor allem Schlaf- und Beruhigungsmittel, opiathältige Schmerzmittel und so genannte Psychostimulanzien, welche die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit verbessern, Müdigkeit und Schlafbedürfnis vermindern, Hungergefühle unterdrücken und darüber hinaus zu positiver Stimmung bis zur Euphorie führen.

Rund 70 Prozent der Medikamentensüchtigen sind von Benzodiazepinen abhängig. Das sind hoch potente Beruhigungsmittel, die sedieren und angstlösend wirken. Bei diesen und auch anderen Substanzen, die häufig verordnet und konsumiert werden, kann bei missbräuchlicher Verwendung schon innerhalb weniger Wochen eine manifeste Abhängigkeit entstehen. Viele Menschen, die medikamentensüchtig sind, haben ein bestimmtes Medikament ursprünglich etwa zur Behandlung ihrer Schlafstörung oder Schmerzen eingenommen. Nicht wenige (vor allem Patienten mit chronischen Schmerzen) brauchen solche Medikamente über lange Zeit. Der Körper aber gewöhnt sich an die im Medikament enthaltenen Substanzen und verlangt daher nach einiger Zeit eine höhere Dosis, um wieder die gleiche lindernde Wirkung zu erreichen. Dadurch entsteht die körperliche Abhängigkeit, und Versuche, das Medikament wegzulassen oder zu reduzieren, sind dann häufig mit deutlichen Entzugserscheinungen verbunden. Trotzdem erkennen Betroffene oft nicht, dass sich ihre Situation durch die Einnahme der Medikamente zwar kurzzeitig, aber nicht dauerhaft verbessert, und spätestens wenn die Wirkung des Medikaments nachlässt, verspüren sie auch die Symptome wieder, gegen die sie mit dem Arzneimittel ankämpfen wollen. Sie empfinden die Beschwerden dann oft als noch schlimmer und nehmen daher noch mehr Medikamente ein: Der Kreis der Medikamentensucht ist geschlossen.
Menschen, die medikamentenabhängig sind, benötigen in der Regel ärztliche Hilfe bei der Therapie. Nur ein ganz geringer Prozentsatz schafft den Entzug ohne ärztliche Unterstützung und Behandlung.

*Alle Untersuchungen zur Medikamentenabhängigkeit belegen eine erhebliche Zunahme des Medikamentenmissbrauchs und gehen von einem weltweiten Anstieg dieses Problems in den nächsten Jahrzehnten aus.

Ursache der Medikamentenabhängigkeit

Ähnlich wie bei Missbrauch und Abhängigkeit von Alkohol oder Drogen entsteht die Abhängigkeit von Medikamenten durch ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Meist werden die Arzneien zunächst vom Arzt verordnet, um psychische oder körperliche Beschwerden wie Schlafstörungen oder Schmerzen zu lindern. Manche Verschreibungen erfolgen dabei recht schnell und manchmal auch großzügig.
In der Folge können bestimmte psychische und soziale Faktoren wie etwa starke psychische Belastungen dazu beitragen, dass das Medikament länger als ursprünglich beabsichtigt eingenommen wird. Zudem spielen genetische Faktoren eine Rolle dabei, wie stark jemand dazu neigt, eine Abhängigkeit zu entwickeln. Nicht zu unterschätzen ist weiters die Vorbildwirkung der Eltern bzw. des sozialen Umfelds im Umgang mit Medikamenten. Bei älteren Menschen, die oft unter zahlreichen Erkrankungen leiden und die viele Medikamente ,wie zum Beispiel Schmerz- oder Beruhigungsmittel verordnet bekommen, kann eine Sucht auch leicht aus fehlender Kontrolle entstehen.
Bei Missbrauch und Abhängigkeit bestehen oft gleichzeitig weitere psychische Störungen wie etwa Angststörungen, Depressionen und Persönlichkeitsstörungen. Es kann sein, dass genau diese Störungen schon vorher manifest und Grund für die Medikamenteneinnahme waren. Es kann aber auch sein, dass sie eine Folge des Medikamentenmissbrauchs bzw. der Medikamentenabhängigkeit sind.

Medikamente mit Suchtpotenzial

Man geht davon aus, dass bis zu fünf Prozent aller häufig verordneten rezeptpflichtigen Medikamente ein gewisses Suchtpotenzial aufweisen. Am häufigsten zu Abhängigkeit führen Schlaf- und Beruhigungsmittel, Schmerz- und Betäubungsmittel sowie Anregungsmittel und Appetitzügler (Psychostimulanzien).

Schlaf- und Beruhigungsmittel
Hochwirksam und stark erleichternd bei Angsterkrankungen, Schlafstörungen oder großen Lebensbelastungen stellen diese Medikamente, die angstlösend, entspannend und beruhigend wirken, auch eine besonders große Gefahr für die Entwicklung einer Abhängigkeit dar. Rund 70 Prozent aller Fälle von Medikamentensucht entfallen auf die Abhängigkeit von verschreibungspflichtigen Beruhigungsmitteln aus der Gruppe der so genannten Benzodiazepine, auch bekannt als Tranquilizer. Ihre Einnahme mildert zunächst den subjektiven Leidensdruck des Patienten und lindert die Symptomatik, aber die dahinter liegenden Probleme bleiben oft bestehen und chronifizieren. Viele Betroffene tendieren dazu, sich mit Hilfe dieser Medikamente weiterhin Beschwerdefreiheit und Sorglosigkeit zu verschaffen – häufig auch deshalb, weil sie nicht wissen, dass und wie rasch hier eine Abhängigkeit entstehen kann. Gleiches gilt für so genannte Z-Drugs. Das sind neue Schlafmittel, deren Wirkstoffnamen alle mit dem Buchstaben Z beginnen, und von denen man ursprünglich annahm, dass sie nicht zu Abhängigkeit führen. Dies ist heute widerlegt. Rezeptpflichtige Schlaf- und Beruhigungsmittel sollten grundsätzlich nicht länger als vier Wochen eingenommen werden.

Schmerz- und Betäubungsmittel (Analgetika)
Bei sehr starken und chronischen Schmerzen kommen Opioide zum Einsatz. Diese Morphiumabkömmlinge sind hochwirksam und haben zudem stimmungshebende Wirkung. Ihr Suchtpotenzial ist hoch und sie führen bei falscher Dosierung oder Anwendungsdauer zu psychischer und körperlicher Abhängigkeit sowie zu Toleranzentwicklung. Das heißt, dass sie immer höher dosiert werden müssen, um die vorhergehende Wirkung zu erzielen. Davon abgesehen können sie, wenn sie zu häufig eingenommen werden, Dauerkopfschmerz erzeugen.

Anregungsmittel und Appetitzügler (Psychostimulanzien)
Die antriebssteigernden und appetitzügelnden Medikamente unterdrücken Müdigkeit und Hungergefühle und erhöhen die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit. Sie werden vor allem bei Aufmerksamkeit-Defizit-Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS) bei Kindern sowie bei Narkolepsie („Schlafkrakheit“), einer seltenen neurologischen Erkrankung, verordnet. Werden sie aber missbräuchlich als Aufputschmittel (Amphetamine) oder Appetitzügler eingenommen, besteht bei längerer Einnahme eine hohe Gefahr, abhängig zu werden.

Davon abgesehen gibt es noch weitere Substanzen, die zwar keine klassische Medikamentensucht verursachen, weil sie nicht auf die Psyche wirken, die bei Missbrauch aber genauso süchtig machen können. Das sind:

  • Nasentropfen und -sprays mit abschwellender Wirkung
  • Abführmittel
  • Wachstums- und Sexualhormone
  • alkoholhaltige Arzneimittel

Symptome der Medikamentenabhängigkeit

Bei einer Medikamentenabhängigkeit treten Symptome oft nur dann auf, wenn die gewohnte Dosis reduziert oder ausgesetzt wird. Der Körper reagiert darauf  mit Entzugserscheinungen. Viele dieser Beschwerden ähneln den Symptomen, deretwegen die Betroffenen ursprünglich mit der Einnahme der jeweiligen Medikamente begonnen haben.

Symptome bei Abhängigkeit von Schlaf- oder Beruhigungsmitteln: Typisch sind Leistungseinbußen, eine Verflachung der Interessen und eine allmähliche Veränderung der Persönlichkeit. Die Wirksamkeit der Medikamente nimmt im Laufe der Zeit ab, sodass die Dosis erhöht werden muss, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Bei abruptem Absetzen kommt es zu Schlafstörungen, Angst, innerer Unruhe, Übelkeit, Kopfschmerzen, Zittern, Reizbarkeit und Krampfanfällen. Möglich ist auch das Phänomen der Wirkungsumkehr. Das heißt, dass Betroffene auf das Medikament nicht mehr müde und beruhigt, sondern im Gegenteil übererregt und euphorisiert werden.

Symptome bei Abhängigkeit von opioidhältigen Schmerzmitteln: Bei sehr häufiger Einnahme können diese Medikamente einen Dauerkopfschmerz erzeugen. Entzugssymptome sind ebenfalls Kopfschmerzen, Zittern, Schlafstörungen, Unruhe, Verspannung und Bewusstseinsstörungen.

Symptome bei Abhängigkeit von Anregungsmitteln und Appetitzüglern: Typische Entzugssymptome sind Müdigkeit, Verlangsamung, Unruhe, Schlafstörungen und schwere Depressionen bis hin zur Suizidneigung.

Diagnose der Medikamentenabhängigkeit

Missbrauch oder Abhängigkeit im Zusammenhang mit Medikamenten werden häufig nicht bzw. sehr lange nicht erkannt – weder von Ärzten noch von Patienten, denen dies selbst oft gar nicht bewusst ist. Im Besonderen gilt dies für die so genannte Niedrigdosis-Abhängigkeit. Darunter versteht man eine Abhängigkeit bei geringer Dosis, die aber über einen langen Zeitraum eingenommen wird. Typisches Warnzeichen für eine Niedrigdosis-Abhängigkeit ist eine nachlassende Wirkung der Medikamente. Das Phänomen ist vor allem bei Beruhigungsmitteln vom Typ Benzodiazepine bekannt.
Im Gegensatz dazu spricht man von Hochdosis-Abhängigkeit, wenn Betroffene die Dosis – oft ohne Rücksprache mit dem Arzt – erhöhen, weil ihre Beschwerden nicht zurückgehen und sie nicht erkennen, dass sie durch die Medikamente selbst sogar noch verstärkt werden können.

Die Kriterien, anhand derer man eine Medikamentenabhängigkeit diagnostizieren kann, sind:

  • wiederholter Konsum, sodass wichtige Verpflichtungen in Arbeit, Schule oder zu Hause vernachlässigt werden
  • wiederholter Konsum in Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann
  • wiederholter Konsum trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme
  • Toleranzentwicklung, gekennzeichnet durch Dosissteigerung oder verminderte Wirkung
  • Entzugssymptome oder Substanzkonsum, um Entzugssymptome zu vermeiden
  • längerer Konsum oder in größerer Menge als geplant (Kontrollverlust)
  • anhaltender Kontrollwunsch oder erfolglose Versuche der Kontrolle
  • hoher Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von der Wirkung des Konsums zu erholen
  • Aufgabe oder Reduzierung von Aktivitäten zugunsten des Substanzkonsums
  • fortgesetzter Gebrauch, obwohl körperliche oder psychische Probleme bekannt sind
  • starkes Verlangen oder Drang, die Substanz zu konsumieren (Craving)

Sind in den vergangenen zwölf Monaten zwei bis drei dieser Kriterien erfüllt, spricht man von einer leichten Abhängigkeit, bei vier bis fünf erfüllten Kriterien liegt eine moderate Störung vor, bei mehr als sechs eine schwere Abhängigkeit.

Behandlung der Medikamentenabhängigkeit

Die Behandlung der Medikamentenabhängigkeit verläuft nach den Prinzipien der allgemeinen Suchttherapie, muss aber berücksichtigen, dass diese Patienten meist erst sehr spät diagnostiziert werden und häufig nur schwer zur Therapie zu motivieren sind, weil gerade bei dieser stillen Sucht viel Verdrängung und Widerstand gegeben ist, und weil das Phänomen, dass gerade jene Tabletten, die ursprünglich als Heilmittel zur Erleichterung eingenommen wurden, nun für eine Gesundheitsstörung verantwortlich sind, tatsächlich schwer zu verstehen ist.

Die Therapie selbst umfasst einerseits den Entzug der Substanz, andererseits je nach Schwere des Falls psychosoziale Maßnahmen wie Beratung, Psychotherapie oder eine stationäre Entzugsbehandlung. Als günstig erweist sich oft die gleichzeitige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe.

Beim Entzug muss die Dosis der Medikamente über mehrere Wochen oder Monate schrittweise reduziert werden, das Absetzen darf keinesfalls abrupt erfolgen, da es sonst zu starken und eventuell gefährlichen Nebenwirkungen kommen kann. Die körperlichen Entzugssymptome können beim langsamen Ausschleichen der Substanzen therapeutisch gut abgefedert werden (mit Antiepileptika, Antidepressiva sowie niedrig potenten Neuroleptika) und sind bei Medikamenten ohne Depotwirkung oft schon nach wenigen Tagen überwunden. Allerdings können bei Medikamenten wie Benzodiazepinen noch Monate oder Jahre später Entzugssymptome auftreten, daher ist es wichtig, dass Betroffene darüber Bescheid wissen.

Die psychische Entwöhnung verläuft oft wellenförmig und kann generell längere Zeit in Anspruch nehmen. Dabei erweisen sich Gesprächs- und Verhaltenstherapie, soziales Kompetenztraining, Paar- und Familientherapie sowie kreative Verfahren als effizient. Ein besonders wichtiger Baustein der Therapie ist auch die Psychoedukation. Sie vermittelt unter anderem Wissen zu Wirkungen und Nebenwirkungen sowie Langzeitschäden von Medikamenten und Möglichkeiten und Techniken der Selbstkontrolle.

Vorbeugung der Medikamentenabhängigkeit

Missbrauch und Abhängigkeit von Medikamenten können hintangehalten werden, wenn die potenziell süchtig machenden Substanzen nur bei echtem Bedarf, in möglichst niedriger Dosierung und über maximal vier bis sechs Wochen verordnet werden.
Was Opiate betrifft, so hat die WHO ein Stufenschema für ihren Einsatz entwickelt. Es gibt Therapieregeln bei der Verwendung von stark wirksamen Opioiden sowie Kriterien, die festlegen, unter welchen Umständen auch bei starken Schmerzen keine Opioide verordnet werden sollten.
Ärzte, sowie wir alle, sind zudem gefordert, neue Entwicklungen wie etwa das „Neurodoping“ aufmerksam zu beobachten. Unter Neurodoping versteht man den Einsatz von Medikamenten zur Verbesserung der Hirnleistung bei Gesunden. Diese Praxis ist besonders unter Studenten,  später auch am Arbeitsplatz weit verbreitet. Viele Menschen versuchen mit diesbezüglichen Substanzen ihr Arbeitstempo zu beschleunigen, ihre Stress-Resistenz zu erhöhen oder Burnout-Zustände zu bekämpfen. Entwicklungen wie diese sollten wir alle kritisch hinterfragen.

Welcher Arzt behandelt Medikamentenabhängigkeit?

Viele Medikamentenabhängige werden von Allgemeinmedizinern, Anästhesisten, Orthopäden oder Ärzten mit Zusatzqualifikationen – etwa in Schmerztherapie – behandelt. Weitere wichtige Behandler sind Psychotherapeuten und eine enge Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzten, Therapie- und Rehabilitationsstationen sowie Apothekern und Beratungsstellen ist oft erforderlich. Der stationäre Teil der Medikamentenentwöhnung wird in Suchtbehandlungszentren, oft aber auch in Allgemeinkrankenhäusern durchgeführt.

  • Autor

    Mag. Gabriele Vasak

    Medizinjournalistin

    Gabriele Vasak ist seit 2019 freie Journalistin in der DocFinder-Redaktion. Ihr besonderes Interesse liegt schon lange im Bereich der medizinischen Contentproduktion. Im Jahr 2006 wurde sie mit dem Medienpreis für Gesundheitsförderung & Prävention des Fonds Gesundes Österreich ausgezeichnet, und im Jahr 2010 erhielt sie den Pressepreis der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie.

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