Zusammenfassung
Factbox – Harninkontinenz
Harninkontinenz: Unwillkürlicher Harnabgang
Formen: Dranginkontinenz, Stressinkontinenz, Überlaufinkontinenz, Reflexinkontinenz, Mischinkontinenz u.a.
Ursachen: Prostatavergrößerung, Prostataoperation, Reizungen der Blase, neurologische Erkrankungen, Nervenschäden, psychische Faktoren u.a.
Therapie: Richtet sich nach Form, Ursache und individueller Situation des Patienten; Behandlungsmöglichkeiten: Verhaltenstraining, Blasentraining, Beckenbodentraining, Elektrotherapie, Biofeedbacktraining, Medikamente, Operation u.a.
Inkontinenz-Hilfsmittel: Einlagen, Urinal – helfen beim Umgang mit der Inkontinenz im Alltag
Was ist Harninkontinenz?
Der Begriff Harninkontinenz (häufig auch Blasenschwäche genannt) bezeichnet den ungewollten Abgang von Urin zwischen den Toilettengängen. Betroffene geben unkontrolliert Urin ab bzw. können diesen nicht mehr kontrolliert zurückhalten.
Harninkontinenz ist ein weit verbreitetes medizinisches Problem, das von vielen Betroffenen nicht beim Arzt thematisiert wird. Denn einerseits ist noch immer die falsche Überzeugung verbreitet, dass Inkontinenz zum Alterungsprozess dazugehört und eine Behandlung nicht notwendig bzw. nicht erfolgsversprechend ist, andererseits ist Harninkontinenz immer noch ein Tabuthema, weswegen auch die Häufigkeitsangaben diesbezüglich sehr variieren können.
Der folgende Artikel behandelt die Harnblasenentleerung sowie die Behandlungsmöglichkeiten bei Harninkontinenz bei Männern. Weitere allgemeine Informationen zum Thema sowie Informationen zum Thema Harninkontinenz bei Frauen finden Sie hier.
Wie funktioniert die Harnblasenentleerung beim gesunden Mann?
In der Harnblase wird Urin zwischengespeichert. Über die beiden Harnleiter ist die Blase mit den Nieren verbunden, die Urin abgeben und so die Blase füllen. Im unteren Bereich schließt die Blase mit der Harnröhre ab, über welche schließlich die Blasenentleerung erfolgt. Ein innerer und äußerer Schließmuskel schließen die Blase hin zur Harnröhre, die an der Spitze der Eichel am Penis endet. Weiters wird die Harnröhre von der Vorsteherdrüse (Prostata), die sich unter der Blase befindet, umfasst, was unter Umständen zu kontinenzspezifischen Problemen führen kann.
Normalerweise unterliegt die Blasenentleerung einer willentlichen Steuerung. Ein komplexer Verschlussmechanismus aus Schließmuskel und Beckenbodenmuskulatur verschließt die Blase, sodass normalerweise vor der willentlichen Blasenentleerung kein Urin verloren geht.
Ist die Blase entleert oder wird sie über die Harnleiter gefüllt, ist der Blasenmuskel entspannt, während der Schließmuskel angespannt ist – die Blase ist verschlossen. Ist die Blase gefüllt, dann „melden“ die Nerven in der Blasenwand dem Gehirn, dass eine Entleerung der Blase erfolgen muss. Umso mehr die Blase gefüllt wird, umso stärker wird der Harndrang.
Für die Blasenentleerung entspannt sich der Schließmuskel, der Blasenauslass öffnet sich und der Urin kann abfließen. Gleichzeitig kommt es zur Anspannung des Blasenmuskels, sodass Urin zusätzlich aus der Blase gedrückt werden kann. Ist die Entleerung abgeschlossen, dann entspannt sich der Blasenmuskel wieder, es kommt zur Anspannung des Schließmuskels und die Harnröhre wird verschlossen.
Aufgrund verschiedener Ursachen kann es beim Mann nun dazu kommen, dass die Blasenentleerung nicht kontrolliert durchgeführt werden kann, wobei die Inkontinenz unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann, von wenigen Tropfen bis hin zu permanentem Harnverlust.
Ursachen und Formen der Harninkontinenz
Es werden verschiedene Formen der Harninkontinenz unterschieden, die unterschiedliche Ursachen haben können.
Dranginkontinenz (Urge-Inkontinenz): Bei Dranginkontinenz verspüren Betroffene bereits während der Blasenfüllungsphase starken Harndrang mit unwillkürlichem Urinabgang. Bereits bei geringer Blasenfüllung wird das Signal „Blase ist voll“ gegeben, der Blasenmuskel zieht sich also bereits bei geringer Blasenfüllmenge zusammen und es kommt zum imperativen (nicht zu unterdrückend) Harndrang und unfreiwilligem Harnverlust. Die Ursache für eine Dranginkontinenz lässt sich nicht immer ausfindig machen, in Frage kommen u.a. ständige Reizungen der Blase, etwa durch eine wiederkehrende Blasenentzündung oder Blasensteine, Prostatavergrößerung, neurologische Erkrankungen (z.B. Multiple Sklerose, Parkinson), Nervenschäden/-reizungen, psychische Faktoren und der Alterungsprozess.
Stressinkontinenz (Belastungsinkontinenz): Die Belastungsinkontinenz ist eine Form der Harninkontinenz, bei welcher es aufgrund einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit des Verschlussapparats der Blase bei einer Druckerhöhung innerhalb des Bauchraums zum unwillkürlichen Urinabgang kommt. Körperliche Anstrengung wie Heben oder Tragen, Husten, Niesen und andere Situationen, die den Druck innerhalb des Bauchraums erhöhen führen bei dieser Form der Inkontinenz zum unkontrollierten Harnverlust. Ursache ist eine Schädigung bzw. Schwächung des Verschlussmechanismus zwischen Blasenhals und Harnröhre, die beim Mann häufig Folge einer Prostataoperation (Entfernung der Prostata wegen Krebserkrankung) ist.
Überlaufinkontinenz: Bei einer Überlaufinkontinenz ist der Druck in der Harnröhre im Vergleich zum Druck in der Blase erhöht und der freie Harnabfluss wird behindert. Mögliche Ursache hierfür ist eine Prostatavergrößerung, in Frage kommen aber auch Harnröhrenverengungen oder funktionelle Störungen der Entleerung.
Reflexinkontinenz: Bei dieser Form der Inkontinenz liegt eine gestörte Übertragung der Nervenimpulse aus dem Rückenmark oder Gehirn zur Muskulatur der Harnblase vor. In weiterer Folge kontrahiert die Blasenmuskulatur ungehemmt und es kommt zum Harnabgang. Ursachen sind u.a. Querschnittslähmung und neurologische Erkrankungen (Multiple Sklerose, Parkinson, Schlaganfall, Alzheimer u.a.).
Darüber hinaus gibt es noch weitere Formen der Harninkontinenz (z.B. Mischinkontinenz, extraurethrale Inkontinenz). Bestimmte Faktoren, darunter verschiedene Medikamente (z.B. Diuretika) und Alkohol, können eine bereits bestehende Harninkontinenz verstärken.
Diagnose
Im Rahmen der Abklärung werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt, um die Form der Inkontinenz feststellen zu können. Zu Beginn erfolgt eine Inkontinenzanamnese, bei welcher sich der Arzt genau nach der Situation des Patienten und dessen Krankengeschichte erkundigt (Seit wann kommt es zum unfreiwilligen Urinabgang? Wie häufig? tageszeit-/situationsabhängig? Intensität? etc.). Ein Trink- und Blasentagebuch, in welchem der Patient über mehrere Tage u.a. notiert, wann und wie oft er zur Toilette ging, wie stark der Harndrang war und ob bzw. in welchen Situationen es zum unwillkürlichen Harnabgang kam, kann in diesem Zusammenhang sehr hilfreich sein. Im Anschluss erfolgt die körperliche Untersuchung. Diese umfasst eine Untersuchung von Unterbauch und Genitalbereich und eine Harnuntersuchung, weiters können noch andere Untersuchungen notwendig sein, z.B. ein Ultraschall der Blase vor und nach der Entleerung, eine Untersuchung zur Beurteilung der Funktion von Blase und Schließmuskel (Urodynamik), eine Überprüfung der Nervenfunktion oder eine Blasenspiegelung.
Inkontinenz betrifft auch jüngere Männer und ist kein Grund für Schamgefühle
Harninkontinenz ist nach wie vor ein Tabuthema. Das Thematisieren der Inkontinenz beim Arzt ist für Männer oftmals ein großes Problem, vielen fällt es schwer zuzugeben, dass sie den Harnfluss nicht mehr richtig unter Kontrolle haben, sei es aus Stolz, Scham oder dem Festhalten an falschen Eindrücken, wie beispielsweise, dass Blasenschwäche nur Frauen oder Männer höheren Alters betrifft.
Schamgefühle hindern Betroffene daran, über ihr Problem zu sprechen, was das Leiden verlängert und zumeist verschlimmert. Da Harninkontinenz beim Mann zumeist mit alterstypischem Auftreten oder Prostataoperationen assoziiert wird, wird der Eindruck vermittelt, dass andere Ursachen sehr selten sind, sodass sich Betroffene mit ihrem Problem alleine fühlen. Allerdings ist das Gegenteil der Fall: Männer unterschiedlicher Altersstufen können von Inkontinenz betroffen sein und neben Operationen an der Prostata kann diese viele andere Ursachen haben.
Wichtig ist es, die Beschwerden nicht zu verharmlosen. Einerseits können sich hinter der Inkontinenz bestimmte Veränderungen oder Erkrankungen verbergen (z.B. Prostatavergrößerung), die eine fachärztliche Abklärung erfordern, andererseits kann es in Folge der Harninkontinenz zu einem starken Verlust an Lebensqualität, psychischen Problemen, sozialem Rückzug und Einsamkeit kommen.
Viele Betroffene haben das Gefühl, dass sie die Kontrolle über den eigenen Körper verlieren; es passiert nicht selten, dass das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl sinken und Ängste auftreten, was das Schamgefühl verstärken und es noch schwieriger machen kann, das Problem offen anzusprechen.
Viele Betroffene isolieren sich zunehmend und gehen gewohnten Tätigkeiten, bei welchen die Inkontinenz ein Problem darstellt (z.B. sportliche und soziale Aktivitäten, Reisen) und Aktivitäten, die außerhalb der Reichweite einer Toilette liegen seltener bzw. nicht mehr nach oder eignen sich individuelle Verhaltensmuster an (z.B. prophylaktische Toilettengänge, Reduktion der täglichen Trinkmenge etc.), die wiederum weitere Probleme mit sich bringen können und dazu beitragen, dass die Inkontinenz das Leben zunehmend bestimmt. Auch sexuelle Auswirkungen sind keine Seltenheit.
Was viele jedoch nicht wissen: Es gibt verschiedene effektive Therapiemöglichkeiten, um Harninkontinzenz langfristig in den Griff zu bekommen. Bei Inkontinenz handelt es sich nicht um ein peinliches Schicksal, sondern um ein medizinisches Problem wie jedes andere auch, das ältere als auch jüngere Männer betrifft und nach genauer Abklärung häufig erfolgreich behandelt werden kann.
Behandlungsmöglichkeiten
Die Therapie orientiert sich an den Ursachen und der Form der Inkontinenz und der genauen Situation des Patienten. Zu den therapeutischen Möglichkeiten zählen, je nach Form der Inkontinenz, Verhaltenstraining, Blasentraining, Beckenbodentraining unter Anleitung von einem auf urologische Probleme spezialisierten Physiotherapeuten, Elektrotherapie (passives Training der Beckenmuskeln durch schmerzlose elektrische Impulse), Biofeedbacktraining, Medikamente (z.B. Antimuskarinika bei Dranginkontinenz, Botulinumtoxin) und andere. Mithilfe der richtigen Therapie lassen sich die Häufigkeit und das Ausmaß des unfreiwilligen Harnverlusts deutlich reduzieren, in vielen Fällen kann die Kontinenz auch wieder hergestellt werden. Bei ausbleibendem Erfolg der konservativen Therapie kann eine Operation sinnvoll sein, durch welche sich zumeist ein zufriedenstellendes Ergebnis erreichen lässt.
Selbsthilfe
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- Bei den ersten Zeichen von unfreiwilligem Harnabgang lohnt es sich, einen Arzt aufzusuchen und das Problem offen anzusprechen.
- Kontinuierliches Beckenbodentraining stärkt die Beckenbodenmuskulatur. Die gezielte Gymnastik des Beckenbodens ist bei Harninkontinenz allgemein eine wichtige Hilfe.
- Es stehen verschiedene Inkontinenz-Hilfsmittel zur Verfügung, die Betroffenen im Umgang mit der Inkontinenz im Alltag helfen, darunter spezielle Einlagen und sammelnde Hilfsmittel (Urinal).
- Viel Trinken: Durch eine Reduktion der Trinkmenge lässt sich die Inkontinenz nicht in den Griff bekommen.
- Gewichtsabnahme: Übergewicht ist ein Risikofaktor und kann eine bestehende Inkontinenz verstärken.
- Stress und emotionale Belastungen können sich auf die Blasenfunktion auswirken und zur Entstehung oder Aufrechterhaltung von Blasenentleerungsstörungen beitragen. Stressreduktion und Entspannungsübungen können helfen.
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