Fetale Alkoholspektrumstörungen
Foto: ChameleonsEye/shutterstock

Fetale Alkoholspektrumstörungen

Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft Alkohol konsumiert haben, kommen häufig mit Schäden verschiedenen Ausmaßes zur Welt. Diese können nicht rückgängig gemacht werden.

Zusammenfassung

Factbox – Fetale Alkoholspektrumstörungen (fetal alcohol spectrum disorders – FASD)

Krankheitsbilder: Fetales Alkoholsyndrom (FAS), partielles Fetales Alkoholsyndrom (pFAS), alkoholbedingte entwicklungsneurologische Störung (ARND), alkoholbedingte angeborene Malformationen (ARBD)

Symptome: Missbildungen im Gesicht, Minderwuchs, Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsstörungen uvm.

Diagnose: Durch Feststellung von Wachstumsauffälligkeiten, Facialen (also das Gesicht betreffend) und ZNS-Auffälligkeiten und bestätigtem oder nicht bestätigtem Alkoholkonsum während der Schwangerschaft. Je nachdem, wie viele Punkte erfüllt sind, wird die Diagnose FAS, pFAS oder ARND gestellt.

Therapie: es gibt keine auf FASD zugeschnittene Therapie. Die Hyperaktivität kann medikamentös behandelt werden, ansonsten können Frühförderung, Krankengymnastik, Logopädie, Ergotherapie und Therapeutisches Reiten hilfreich sein.

Vorbeugung: während der gesamten Schwangerschaft darf kein Alkohol konsumiert werden. Es gibt kein Zeitfenster, in dem man das ungeborene Kind nicht schädigen kann.

Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft Alkohol konsumiert haben, kommen häufig mit Schäden verschiedenen Ausmaßes zur Welt. Diese können offensichtlich sein, oder auch als später auftretende Entwicklungsstörungen zutage treten. Bekannt ist vor allem das fetale Alkoholsyndrom (FAS), das allerdings nur ein Krankheitsbild ist, das durch Alkohol während der Schwangerschaft entstehen kann. Alle Störungen, die bei Ungeborenen durch die Aussetzung gegenüber von Alkohol entstehen können, werden unter dem Begriff „Fetale Alkoholspektrumstörungen“ (Fetal Alcohol Spectrum Disorder – FASD) zusammengefasst. Schätzungen zufolge sind rund ein bis zwei Prozent der Bevölkerung betroffen.

Wie entsteht eine FASD?

Schädigungen, die durch sog. Intrauterine Alkoholexposition, also Alkoholkonsum der Mutter, während das Baby in der Gebärmutter ist, hervorgerufen werden, können schon durch kleinste Mengen Alkohol verursacht werden. Über den mütterlichen Blutkreislauf gelangt der Alkohol über die Plazenta zum Kind, das dadurch zum „Mittrinken“ gezwungen ist. Noch dazu ist die Leber des Fötus noch nicht voll ausgebildet, wodurch der Abbau des Alkohols im Blut beim ungeborenen Kind viel länger dauert und somit viel länger schädlich wirkt. Dadurch wird die Zellteilung gestört und die Zelle bleibt kleiner. Das bewirkt, dass auch die Organe des Kindes zu klein bleiben und in ihrer Funktion gestört sind. Auch die Nervenverbindungen können unter Einfluss von Alkohol nicht richtig ausgebildet werden. Bestehende Nervenzellen können sogar absterben.

Welche Schäden bei den Kindern entstehen hängt nicht nur von der Menge des konsumierten Alkohols ab, sondern auch vom Zeitpunkt.

Die Zeit von der Befruchtung einer Eizelle bis zur Einnistung dauert sieben bis acht Tage. In dieser Zeit gilt das „Alles oder Nichts Prinzip“. Werden Zellen in dieser Phase – beispielsweise durch Alkohol – geschädigt, entwickelt sich der Embryo nicht weiter und es kommt zu einem Abort (vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft).

Sind diese ersten Tage vergangen, wissen viele Frauen noch länger nicht, dass sie schwanger sind. Doch schon während der embryonalen Phase (das ist die Zeit bis zur achten Woche nach der Befruchtung bzw. bis zur zehnten Woche nach Beginn der letzten Monatsblutung) kann Alkohol irreparable Schäden am Kind bewirken. Diese betreffen dann das zentrale Nervensystem, da sich dieses während der gesamten Schwangerschaft bildet. Die untenstehende Abbildung verdeutlicht, wann die verschiedenen Organe ausgebildet werden, die dann durch Alkoholeinfluss geschädigt werden können.

Embryo Fötus Entwicklung
Quelle: Hans-Ludwig Spohr: Das Fetale Alkoholsyndrom, De Gruyter 2014

Welche Schädigungen entstehen durch Alkohol in der Schwangerschaft?

Unter dem Begriff „fetale Alkoholspektrumstörungen“ werden vier Krankheitsbilder zusammengefasst:

  1. Fetales Alkoholsyndrom (FAS – fetal alcohol syndrome): Dies ist das Vollbild der Störungen. Die Kinder sind kleiner und leichter als Gleichaltrige. Typische Veränderungen im Gesicht sind die kurze Lidspalte des Auges, weit auseinanderstehende Augen, die Rinne zwischen Nase und Oberlippe fehlt und die Oberlippe ist sehr schmal. Es kann auch zu Fehlentwicklungen des Gehirns kommen, das kleiner sein kann bzw. ist der Informationsaustausch zwischen den einzelnen Bereichen des Nervensystems gestört. Das fetale Alkoholsyndrom tritt vor allem bei Kindern auf, deren Mütter während der gesamten Schwangerschaft hohe Mengen von Alkohol getrunken haben.
  2. Partielles fetales Alkoholsyndrom (pFAS – partial fetal alcohol syndrome): Typisch sind die Fehlbildungen im Gesicht und Auffälligkeiten des Zentralen Nervensystems. Das partielle FAS ist keine abgeschwächte Form des FAS. In Bezug auf die geistige und soziale Entwicklung ist diese Form genauso ungünstig wie ein Vollbild.
  3. Alkoholbedingte entwicklungsneurologische Störung (ARND – alcohol related neurodevelopmental disorder): Ist ein Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft bestätigt und liegen Auffälligkeiten des zentralen Nervensystems vor, spricht man von dieser Form.
  4. Alkoholbedingte angeborene Malformationen (ARBD – alcohol related birth defects): Bei dieser Form gibt kommt es zu Missbildungen von Organen und Knochen.

Häufige Folgen von Alkohol während der Schwangerschaft sind Minderwuchs, Fehlbildungen an den Geschlechtsorganen, schmale Lippen, Hörstörungen, Schlitz- oder Schielaugen, die zu weit auseinanderliegen, Schluckstörungen und besonders häufig Herzfehler. Auch eine Epilepsie kann auftreten.

Am meisten ist aber das Gehirn und damit das intellektuelle und soziale Leben betroffen. Kinder mit FASD weisen häufig eine verminderte Intelligenz auf. Auch Schlaf- und Lernstörungen treten auf. Viele Symptome entwickeln sich erst im Laufe der Jahre. Dazu zählen Konzentrationsschwäche, Hyperaktivität, verspätete Sprachentwicklung und gestörtes Sozialverhalten. Häufig fällt es den betroffenen Kindern schwer, sich in Kindergarten und Schule zu integrieren, es gibt viele Konflikte. Durch die Hyperaktivität brauchen sie ständig neue Reize. Dadurch stören sie andere Kinder, die ruhig spielen. Außerdem gehen Kinder mit FASD auch mehr Risiken ein und verletzen sich häufiger. Es fällt ihnen auch schwer, sich an Regeln zu halten bzw. einmal erlernte Verhaltensweisen auf andere Situationen umzulegen. Manche Kinder sind auch sehr distanzlos und gehen selbst auf Fremde viel zu freundlich zu. Andere können Beziehungen nicht pflegen und werden Einzelgänger.

Auf Überforderungen reagieren Betroffene sowohl im Kindes-, als auch im Erwachsenenalter mit Aggressionen – auch gegen sich selbst. Bei erwachsenen Menschen mit einer fetalen Alkoholspektrumstörung wird außerdem häufig beobachtet, dass sie Opfer von Straftaten wie Missbrauch oder Erpressung werden.

Diese Schäden können nicht rückgängig gemacht werden. Möchte eine Frau ihr Kind davor schützen, darf sie in der Schwangerschaft zu keiner Zeit Alkohol konsumieren.

Wer diagnostiziert FASD?

Bei Verdacht auf FASD bei größeren Kindern werden sie an ein FASD-Fachzentrum überwiesen. Dort erstellt eine Ärztin/ein Arzt gemeinsam mit einer Psychologin/einem Psychologen die Diagnose. Bei Säuglingen und Kleinkindern wird die Diagnose anhand der Kriterien Wachstumsauffälligkeiten, Faciale (also das Gesicht betreffend) und ZNS-Auffälligkeiten und bestätigter oder nicht bestätigter Alkoholkonsum während der Schwangerschaft gestellt:

  • Wachstumsauffälligkeiten: Gewicht, Körperlänge und/oder Body-Mass-Indexwaren/sind bei der Geburt oder zum Zeitpunkt niedriger als bei 90% anderer Kinder gleichen Geschlechts, die zu einem vergleichbaren Zeitpunkt zur Welt kamen
  • Faciale Auffälligkeiten: kurze Lidspalte (Schlitzaugen), verstrichene Rinne zwischen Nase und Oberlippe, schmale Oberlippe
  • ZNS-Auffälligkeiten: kleines Gehirn, Entwicklungsverzögerungen bei Kindern unter zwei Jahren, Intelligenzminderung, Probleme beim Lesen, Sprechen und Rechnen, gestörte Feinmotorik sowie Verhaltens-, Aufmerksamkeits- bzw. Wahrnehmungsstörungen

Liegen in allen drei Bereichen Auffälligkeiten vor und die Mutter bestätigt einen Alkoholkonsum während der Schwangerschaft bzw. es ist davon auszugehen, dass dies der Fall war, wird die Diagnose „fetales Alkoholsyndrom“ gestellt. Ein partielles fetales Alkoholsyndrom liegt vor, wenn Auffälligkeiten des ZNS und typische Merkmale im Gesicht sowie ein bestätigter oder vermuteter Konsum von Alkohol während der Schwangerschaft vorliegen. Eine alkoholbedingte entwicklungsneurologische Störung wird diagnostiziert, wenn ein bestätigter Alkoholkonsum vorliegt und ausschließlich im Bereich des zentralen Nervensystems Auffälligkeiten vorliegen.

Bis zu 95 Prozent der Kinder erhalten allerdings keine oder eine falsche Diagnose, am häufigsten ADHS. Besonders, wenn keine körperlichen Anzeichen, sondern nur Verhaltensauffälligkeiten zutage treten, bleibt eine fetale Alkoholspektrumstörung oft unerkannt. Doch nur durch eine Diagnose kann sich auch das Umfeld auf die besonderen Bedürfnisse der Betroffenen einstellen. Das fasd-netzwerk.at betont in diesem Zusammenhang, dass es so zu einem Wahrnehmungswechsel von „will nicht“ zu „kann nicht“ kommt.

In Deutschland geht man davon aus, dass ein bis zwei Prozent der Bevölkerung an FASD leiden. Für Österreich gibt es keine Zahlen. Allerdings wird die Häufigkeit ähnlich hoch eingeschätzt.

Wie werden alkoholbedingte Störungen behandelt?

Es gibt keine auf FASD zugeschnittenen Therapien. Sie sind nicht heilbar und Schädigungen können nicht rückgängig gemacht werden. Man kann Betroffenen allerdings mit verschiedenen Therapien und Förderungen helfen. Auch ein verständnisvolles Umfeld hilft dabei, die Lebensqualität zu verbessern. Im Alltag brauchen Menschen mit FASD klare Strukturen, ritualisierte Handlungen und eine ruhige und reizarme Umgebung. Allen Personen, die mit den Betroffenen zu tun haben, muss gesagt werden, dass sie keine „Unruhestifter“ sind, sondern besondere Bedürfnisse haben.

Zu den therapeutischen Maßnahmen zählen Frühförderung, Krankengymnastik, Logopädie, Ergotherapie und Therapeutisches Reiten. Bei Wachstumsstörungen und Untergewicht kann Ernährungstherapie helfen, die körperliche Entwicklung zu fördern.

Es stehen auch medikamentöse Therapien zur Verfügung, um die Hyperaktivität zu behandeln. In Anbetracht der Probleme, die Betroffenen aus ihrem Verhalten erwachsen, sind diese durchaus nicht zu vernachlässigen.

Die FASD Hilfe Austria bietet auch eine Selbsthilfegruppe für Betroffene an. Nähere Informationen findet man auf der Website.

  • Autor

    Mag. Simone Peter-Ivkic

    Medizinjournalistin

    Simone Peter-Ivkic ist seit 2011 als freie Medizinjournalistin tätig. Sie hat Anglistik und Publizistik an der Universität Wien studiert und fand anschließend ihre Leidenschaft für medizinische Themen.

Das könnte Sie auch interessieren
Hüftschmerzen

Hüftschmerzen

Beschwerden im und um das Hüftgelenk sind ein weit verbreitetes Problem und betre:en nahezu jeden Menschen irgendwann im Laufe des Lebens. Der Schmerzursprung kann direkt im Gelenk liegen oder in den umgebenden Strukturen.

Pap-Abstrich

Pap-Abstrich zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs

Der Pap-Abstrich ist eine gynäkologische Routineuntersuchung zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs und zählt zu den erfolgreichsten Krebstests überhaupt. Seit seiner Einführung konnte die Sterblichkeitsrate dieser Erkrankung um zwei Drittel gesenkt werden.

HPV Infektion (Humane Papillomaviren)

HPV (Humane Papillomaviren)

Humane Papillomaviren (HPV) sind DNA-Viren, die vorwiegend durch direkten Schleimhautkontakt übertragen werden und verschiedene Erkrankungen verursachen können – von harmlosen Warzen bis hin zu bösartigen Tumoren.

HPV-Test - Laborproben

HPV-Test: Ablauf, Kosten und Risiken auf einen Blick

Der HPV-Test ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Bestandteil der gynäkologischen Vorsorge geworden. Er ermöglicht es, Infektionen mit dem Humanen Papillomavirus (HPV), die zur Entstehung von Gebärmutterhalskrebs führen können, frühzeitig zu erkennen.