DocFinder: Frau Dr. Podkowinski, warum ist es für Menschen mit Diabetes wichtig, ihre Augen regelmäßig kontrollieren zu lassen?
Dominika Podkowinski: Insgesamt gibt es etwa 463 Millionen Menschen mit Diabetes weltweit. Rund 30 Prozent von ihnen weisen Veränderungen am Auge auf, etwa zehn Prozent leiden unter erheblichen Seheinschränkungen. 20 Jahren nach Ausbruch der Erkrankung entwickeln etwa 25 Prozent diabetische Veränderungen am Auge. Diabetes mellitus ist auch die häufigste Erblindungsursache bei Menschen im erwerbstätigen Alter.
Derart hohe Zahlen verdeutlichen, warum Augenkontrollen für Menschen mit Diabetes enorm wichtig sind. Denn umso früher Veränderungen am Auge erkannt werden, umso besser kann man diesen entgegenwirken.
Warum schädigt Diabetes die Augen?
Dominika Podkowinski: Weil die kleinen Gefäße im Auge durch die erhöhten Blutzuckerwerte schlicht und ergreifend kaputt gehen. Diabetes führt zu Veränderungen der kleinen Blutgefäße, das nennt man Mikroangiopathie. Die Gefäße werden durch den Diabetes undicht bzw. kann es zu Verschlüssen kommen und die Zellwände sind nicht mehr stabil. Man kann sich das vorstellen wie bei einem Gartenschlauch, der löchrig wird. Flüssigkeit tritt aus den Gefäßen aus und kann sich im Gewebe ansammeln. Im Blut wird aber auch Sauerstoff transportiert. Die Netzhaut ist ein sehr sauerstoffempfindliches Gewebe und funktioniert nicht mehr richtig, wenn sie unterversorgt wird.
Welche Erkrankungen treten bei Diabetes am häufigsten auf?
Die weitaus häufigste Komplikation am Auge ist die diabetische Retinopathie, also Veränderungen am Augenhintergrund (Anm.: Retina = Netzhaut). Da die Zellwände nicht mehr stabil sind ist die Durchblutung nicht mehr ausreichend gewährleistet, es kommt zu kleinen Ausbuchtungen der Gefäße und zu Blutungen. Das kann so weit gehen, dass zum Teil große Areale der Netzhaut nicht mehr durchblutet werden. Diese wird in grob in zwei Stadien eingeteilt: die nicht-proliferative und die proliferative diabetische Retinopathie.
Die nicht-proliferative diabetische Retinopathie kann man weiters in mild, moderat und schwer einteilen. Die Einteilung basiert auf den ersichtlichen Veränderungen am Augenhintergrund und ist z.B. für die Kontrollintervalle relevant.
Die proliferative diabetische Retinopathie zeichnet sich durchGefäßneubildungen, wir nennen das Gefäßproliferationen aus, zu denen aus auf Grund von Sauerstoffmangel kommt. Das Problem daran ist, dass diese Gefäße in den Glaskörper wachsen, wo es dann zu Blutungen kommen kann. Tritt die Blutung genau in der Mitte des Sehzentrums, kann man nur sehr schlecht durchsehen. Das ist vergleichbar mit einem schwarzen Vorhang, der sich ständig vor dem Auge mitbewegt.
Gibt es auch noch andere Erkrankungen des Auges, die im Zusammenhang mit Diabetes stehen?
Dominika Podkowinski: Ja, dazu zählt beispielsweise das diabetische Makulaödem. Die Makula ist der Ort des schärfsten Sehens. Veränderungen merkt man als PatientIn schnell, weil es zu einer Sehverschlechterung kommt. Durch den Austritt von Flüssigkeit aus den Gefäßen in das Gewebe kommt es zu einer Flüssigkeitsansammlung an der Makula. Als PatientIn sieht man alles unscharf in der Mitte des Bildes, Linien werden verzerrt wahrgenommen. Bei Fortschreiten der Erkrankung erscheint ein dunkler Fleck an dieser Stelle. Das macht vor allem beim Lesen Probleme oder wenn es darum geht, Details zu erkennen. So lassen sich z.B. auch Gesichter nicht mehr erkennen.
Begünstigt wird durch den Diabetes außerdem der graue Star (Katarakt). Komplikationen am Auge durch Diabetes sind des weiteren Glaskörperblutungen sowie ein grüner Star (Glaukom).
Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass Erkrankungen des Auges infolge eines Diabetes gut behandelbar sind, sofern sie früh diagnostiziert werden. Wurde aber schon ein großer Schaden durch Diabetes angerichtet, ist dieser zum Teil auch nicht mehr reversibel.
Reicht es, regelmäßige Sehtests bei OptikerInnen zu machen?
Dominika Podkowinski: Sehtests kann natürlich auch ein/e OptikerIn machen, aber alle weiteren Untersuchungen können nur bei einer augenärztlichen Kontrolle durchgeführt werden. Dabei wird festgestellt, ob es Veränderungen am Auge gibt und falls ja, werden die weiteren Kontrollintervalle bestimmt als auch eine etwaige Behandlungsindikation gestellt.
Welche Untersuchungen werden durchgeführt?
Dominika Podkowinski: Eine Spaltlampe kommt bei der Untersuchung immer zum Einsatz. Da wir Augenärztinnen und -ärzte die ganze Netzhaut kontrollieren müssen, werden die Pupillen erweitert. Falls Sie als PatientIn eine derartige Untersuchung brauchen, kommen Sie bitte nicht selbst mit dem Auto, da das Fahren nach der Kontrolle nicht möglich ist!
Es kann auch eine optische Kohärenztomographie (OCT) durchgeführt werden. Das ist eine bildgebende nicht- invasive Untersuchung, die mit einem Ultraschall Ähnlichkeiten hat. Hierbei wird ein 3D-Scan von der Netzhaut gemacht. Mit dem Scan lassen sich Veränderungen am Ort des schärfsten Sehens sehr gut darstellen.
Eine andere Methode zur Darstellung der Gefäße in der Netzhaut ist die Fluoreszenzangiographie (FLA). Das ist ein invasives Verfahren, bei dem ein Farbstoff über die Vene eingeleitet wird. Dabei handelt es sich nicht um ein Kontrastmittel, sondern um einen leuchtenden Stoff. Danach können Bilder von den Gefäßen gemacht werden und so die Durchblutungssituation dargestellt werden. Ist ein Gefäß nicht mehr dicht, tritt Farbstoff aus den Gefäßen aus. Areale, die in diesem Bild schwarz sind, sind nicht mehr durchblutet. Auch Gefäßneubildungen können so dargestellt werden, wobei diese auch klinisch durch einen Augenarzt oder Augenärztin gut diagnostiziert werden können.
Das Problem daran ist nämlich, dass die Patientinnen und Patienten keine Beschwerden haben, solange es nur Wucherungen gibt – weder in Form von Schmerzen noch durch Sehverschlechterungen. Unbehandelt erblinden etwa 50 Prozent der Patientinnen und Patienten innerhalb von fünf Jahren durch diese Komplikationen von Blutungen und Vernarbungen.
Noch eine Methode ist die Optische Kohärenztomographie-Angiographie (OCTA). Sinn der Sache ist auch hier die Darstellung der Blutgefäße. Der große Vorteil ist, dass man dazu keinen Farbstoff braucht. Menschen mit Diabetes haben häufig Probleme mit den Nieren, wodurch man mit den Farbstoffen, die eingesetzt werden können, eingeschränkt ist, weil diese über die Niere ausgeschieden werden. Das wird so umgangen. Auch hier werden Areale, die nicht durchblutet werden (die mikrovaskulären Schäden), schwarz dargestellt.
Wie oft sollen Menschen mit Diabetes eine/n Augenärztin/Augenarzt aufsuchen?
Dominika Podkowinski: Zunächst einmal sollte jeder Mensch sofort nach der Diagnose Diabetes einen Augenarzttermin ausmachen. Es gibt Patientinnen und Patienten, die bereits zu diesem Zeitpunkt Veränderungen am Augenhintergrund haben, weil der Diabetes lange nicht erkannt wurde. Liegen keine ersichtlichen diabetischen Veränderungen vor– reicht ab dann eine jährliche Kontrolle. Bei einer milden nicht-proliferativen diabetischen Retinopathie reicht ebenso eine einmal jährliche Kontrolle. Bei der moderaten Form sollte alle sechs Monate, in einem schweren Stadium alle drei Monate eine Kontrolle bei der Augenärztin/dem Augenarzt erfolgen. Das kann alles bei niedergelassenen Augenärzten/-ärztinnen stattfinden. Diese überweisen Patientinnen und Patienten im Bedarfsfall ins Krankenhaus. Liegt jedoch eine proliferative diabetische Retinopathie vor, müssen die Kontrollen sogar in geringeren Abständen als drei Monaten erfolgen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Dominika Podkowinski: Bei einem diabetischen Makulaödem können wir im Krankenhaus Medikamente in den Glaskörper injizieren. Dadurch kann man die Gefäße wieder etwas abdichten und in weiterer Folge wird die Flüssigkeit resorbiert. Diese Behandlung ist monatlich durchzuführen. Es sieht vielleicht gefährlich aus, wenn eine Spritze direkt ins Auge eingeführt wird, aber diese Therapie ist nicht unangenehm, da das Auge sehr gut betäubt ist und man den Einstich kaum spürt. Auch die Komplikationsraten sind sehr gering. Im Hanusch-Krankenhaus machen wir etwa 40 bis 50 dieser Injektionen pro Tag.
Bei Gefäßneubildungen versucht man, mit einem Laser alles, was nicht im Sehzentrum ist, zu veröden. Dadurch wird die Durchblutung im Sehzentrum verbessert, da nur noch eine kleinere Fläche durchblutet werden muss. Diese Methode gibt es schon seit Anfang der 1980er Jahre, wurde stetig verbessert und ist sehr sicher. Auch hier kann man versuchen mit Injektionen in das Auge die Gefäßwucherungen zu stoppen.
Eine Staroperation könnte bei einem Menschen mit Diabetes früher notwendig werden, da sich der Zucker auch in der Linse ablagern kann. Dieser Eingriff ist unkompliziert, findet in lokaler Anästhesie statt, dauert ca. 20 Minuten und man kann noch am selben Tag wieder nach Hause.
Sollte die Erkrankung fortschreiten und schlechter werden, kann auch noch der Glaskörper entfernt werden. Das macht man, wenn es immer wieder Einblutungen gibt oder die Netzhaut sich abhebt auf Grund von Gefäßneubildungen. Das dauert etwa 40 Minuten, kann auch in lokaler Anästhesie gemacht werden und kann bei fortgeschrittenen Erkrankungen notwendig werden.
Was können Menschen mit Diabetes selbst tun?
Dominika Podkowinski: Das wichtigste ist wirklich, regelmäßig zum Augenarzt/zur Augenärztin zu gehen – auch ohne Beschwerden! Und das ab Diagnosestellung! Zu uns ins Krankenhaus kommen leider immer wieder Menschen mit Diabetes, die fünf Jahre bei keiner augenärztlichen Kontrolle waren.
Ansonsten ist es wichtig, die Blutzuckerwerte gut einzustellen. Es ist bewiesen, dass die Blutzuckerwerte Einfluss darauf haben, ob am Auge Veränderungen und in weiterer Folge eine Sehverschlechterung auftreten. Je besser die Einstellung, desto länger gibt es keine Veränderungen. Das könnte auch erklären, warum Menschen mit Diabetes Typ 1 häufiger von diabetischen Augenerkrankungen betroffen sind, da sie im Vergleich zu Menschen mit Diabetes Typ 2 höheren Blutzuckerschwankungen unterworfen sind als auch zumeist eine längere Erkrankungsdauer aufweisen.
Rauchen ist ebenfalls ein großes Problem für die Netzhaut. Durch Rauchen wird die Versorgung mit Sauerstoff im ganzen Körper und so auch auf der Netzhaut noch einmal verschlechtert. Ein Rauchstopp ist also wichtig für die Vorbeugung von Augenerkrankungen.
Auch die Blutfettwerte (Cholesterin) spielen eine große Rolle, ebenso wie Bluthochdruck (Hypertonie). Je höher der Blutdruck, desto enger werden die Gefäße und desto schlechter wird die Sauerstoffversorgung am Augenhintergrund. Bewegung sollte ebenfalls als Faktor bedacht werden, auch für die Optimierung des Zuckerwerts.
Auf der Website der ophthalmologischen Gesellschaft (www.augen.at/a-bis-z-der-augengesundheit/diabetes_und_auge.php) finden Sie viele Beiträge. Und auch beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit gibt es einen Infofolder zum Downloaden (broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=653).
Danke für das Gespräch!