Seit fast fünfzig Jahren ist bekannt, dass eine Genvariation namens HLA-DR15 stark mit Multipler Sklerose (MS) assoziiert ist; sie ist für bis zu 60 Prozent des genetischen Risikos verantwortlich. Wenn sich die Träger dieses häufigen Gens – etwa ein Viertel der gesunden Bevölkerung sind HLA-DR15-positiv – zusätzlich mit dem Epstein-Barr-Virus infizieren und eine symptomatische Infektion, das sogenannte Pfeiffer’sche Drüsenfieber, durchmachen, steigt das Risiko für MS noch einmal um das 15-fache.
Die Genprodukte von HLA-DR15 steuern die Ausbildung unseres erworbenen Immunrepertoires, und sitzen unter anderem an der Oberfläche von weissen Blutkörperchen, wo sie Eiweiss-Bruchstücke von Bakterien, Viren und Körperzellen einfangen und den T- Lymphozyten des Immunsystems präsentieren. Nun stellte sich heraus, dass die HLA-DR15-Moleküle im Thymus Bruchstücke von sich selbst präsentieren, was vorher nicht bekannt war.
„Der wichtigste genetische Risikofaktor der MS bildet also ein Repertoire von trainierten T- Lymphozyten aus, die sehr gut auf bestimmte Infektionserreger wie Epstein-Barr-Virus und Darmbakterien wie Akkermansia muciniphila, die in MS-Patienten in abnorm hoher Zahl vorkommen, reagiert», so die Forscher, „diese springen durch eine Art Kreuzreaktion allerdings auch auf Eiweisse an, die im Gehirn vorkommen. Der Nachteil dieser Fitness ist also, dass die Betroffenen auch anfällig für eine Immunreaktion gegen das Hirngewebe werden, was zu Multipler Sklerose führen kann.“ Die Ergebnisse werfen somit erstmals ein Licht darauf, wie die Kombination von genetischer Veranlagung und bestimmten Umweltfaktoren eine Autoimmunerkrankung auslösen kann. Ähnliche Prozesse könnten auch bei einer Reihe anderer Autoimmunerkrankungen eine Rolle spielen.
Referenzen:
Universität Zürich
HLA-DR15 Molecules Jointly Shape an Autoreactive T Cell Repertoire in Multiple Sclerosis. Cell. 21 October 2020, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0092867420312514