Die Herbal Medicinal Products Platform Austria (HMPPA) – bestehend aus ExpertInnen der pharmazeutischen Institute der Universitäten Graz, Innsbruck und Wien – kürt jährlich nach strengen Auswahlkriterien die Arzneipflanze des Jahres in Österreich. Für 2021 fiel die Wahl auf die Mariendistel (Silybum marianum [L.] Gaertn.). Wissenschaftliche Studien belegen unter anderem die leberschützenden Effekte des Wirkstoffkomplexes Silymarin.
Wirkstoffkomplex Silymarin
„Die im mediterranen Raum und Vorderen Orient beheimatete Mariendistel ist ein krautiger, bis über zwei Meter hoher, in Mitteleuropa meist nicht winterharter Vertreter der Korbblütler“, erläutert em. o. Univ.-Prof. Dr. Chlodwig Franz, Vizepräsident der HMPPA, Abt. Funktionelle Pflanzenstoffe, Vetmeduni Wien. Die Pflanze besitzt eine Pfahlwurzel und charakteristisch weiß marmorierte, dornig bewehrte Laubblätter.
Auch die Hüllblätter der Blütenköpfe enden in Dornen. Die etwa 200 Röhrenblüten pro Blütenkorb sind purpurrot bis violett, selten weiß und bilden je eine dunkelbraun glänzende, weizenkorngroße Frucht aus, die mit einem Pappus als Flugorgan zur Samenverbreitung (ähnlich dem Löwenzahn) versehen ist. Die braunen Früchte enthalten in ihrer Schale den als „Lebermittel“ bekannten Wirkstoffkomplex Silymarin.
Als Arzneipflanze ist die Mariendistel schon seit dem Altertum bekannt. Seit dem 19. Jhd. konzentriert sich die medizinische Verwendung auf Zubereitungen der „Samen“ (Früchte) bei Leber- und Galleleiden (Madaus 1938), was schließlich zur systematischen Inkulturnahme der Mariendistel und ihrer züchterischen Bearbeitung führte.
DI Rudolf Marchart, Österreichischer Verband für Arznei- und Gewürzpflanzenbau, St. Pölten: „In Österreich stellt Mariendistel eine der drei wichtigsten großflächig kultivierten Arzneipflanzen dar, die Anbaugebiete liegen in Niederösterreich – vor allem im Waldviertel, teilweise im Weinviertel. Hier befindet sich auch ein international viel beachtetes Kompetenzzentrum zur Mariendistelverarbeitung für die nachfolgende Silymaringewinnung im Umfang von 3.500 bis 4.000 Tonnen Körnerdroge als durchschnittliche Jahresproduktion.
Zur Behandlung der Knollenblätterpilzvergiftung
„Die Inhaltsstoffe der Früchte der Mariendistel sind schon sehr gut untersucht,“ erläutert Univ.-Prof. Dr.Dr.h.c. Rudolf Bauer, Vizepräsident der HMPPA, Institut für Pharmazeutische Wissenschaften, Universität Graz. „Für die Wirksamkeit ist das in der Fruchtwand lokalisierte Gemisch an Flavonolignanen, welches als ‚Silymarin‘ bezeichnet wird, von besonderer Bedeutung.“
Es setzt sich aus Silibinin, Isosilibinin, Silychristin und Silydianin zusammen. Außerdem sind Flavonoide, fettes Öl und Phytosterole enthalten. Das Europäische Arzneibuch fordert für Mariendistelfrüchte einen Gehalt von mindestens 1,5 % Silymarin, berechnet als Silibinin. Für einen eingestellten gereinigten Mariendistelfrüchtetrockenextrakt wird ein Gehalt von 30 bis 65 % Silymarin gefordert. Für die Behandlung der Knollenblätterpilzvergiftung wird das gereinigte Hemisuccinatdinatriumsalz des Silibinins verwendet.
Gut für die Leber
Silymarin besitzt eine leberschützende Wirkung. Silibinin interagiert mit spezifischen Leber-Transportproteinen, wodurch Giftstoffe wie a-Amanitin und Phallaoidin nicht mehr in die Zelle eindringen könne. Es konnten auch antioxidative und antiinflammatorische Effekte nachgewiesen werden. Silymarin kann sowohl die DNA- als auch die Lipid- und Proteinoxidation unterbinden und damit Zellschäden verhindern.
Außerdem fördert Silymarin über eine Stimulierung der Polymerase I die Zellregeneration, wodurch sich die geschädigte Leber schneller erholen kann. Über eine Hemmung der RNA Polymerase verhindert Silibinin laut in vitro Daten auch die Replikation des Hepatitis-C-Virus. Tierversuche zeigten, dass Silymarin auch den Zuckerstoffwechsel positiv beeinflusst und cholesterinsenkend wirkt. Somit könnte es auch für die Behandlung des metabolischen Syndroms Bedeutung haben.
Neueste Untersuchungen ergaben, dass Silibinin den programmierten Zelltod (Apoptose) von Krebszellen induziert. Daraus könnten sich in der Zukunft auch neue Anwendungen im Bereich der Krebstherapie ergeben.
Anwendungsbereiche von Mariendistel
In der täglichen naturheilkundlichen Praxis findet die Mariendistel bei Leberkrankungen, insbesondere bei den Lebensstil-bedingten Fettlebererkrankungen (NAFLD) Anwendung. Die Prävalenz der NAFLD liegt in der Normalbevölkerung bei 14 bis 27 %. „Daneben werden Patienten mit chronischer viraler Hepatitis – Hepatitis B und C – und Chemotherapie-induzierter Hepatitis behandelt“, so Dr. med. Annette Jänsch, Fachärztin für Innere Medizin Naturheilkunde, Abteilung Naturheilkunde, Immanuel Krankenhaus Berlin, Standort Berlin-Wannsee. Einige Studien zeigen auch eine schnellere Abheilung einer akuten Hepatitis A unter Mariendisteltherapie.
Bei der nichtalkoholischen Fettleber (NAFL) verbessert Mariendistel signifikant die Transaminasenaktivität und die Aktivität der Gamma-GT. Neben der Verbesserung der Laborparameter sind die Patienten weniger müde, leistungsfähiger und weisen eine bessere Schlafqualität auf. In Studien ist die Wirksamkeit standardisierter Mariendistel-Extrakte bei Leberschäden gut dokumentiert. „Daher kann diese Arzneipflanze bei NAFL, Chemotherapie-bedingter Hepatotoxizität, chronischer Hepatitis und bei Amatoxin-bedingter Pilzvergiftung als ideales Therapeutikum empfohlen werden“, resümiert Dr. Jänsch.
Online Pressekonferenz der HMPPA: Arzneipflanze des Jahres 2021; 19.1.2021