Zusammenfassung
Factbox – Borderline Syndrom
Definition: Das Borderline Syndrom ist eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung, die durch impulsives Verhalten und starke Schwankungen in den Gefühlen, dem Selbstbild und zwischenmenschlichen Beziehungen gekennzeichnet ist. Man unterscheidet den „Impulsiven Typus“ und den „Borderline Typus“.
Ursachen: Genetische Faktoren, bestimmte Lebenserfahrungen (Gewalt und/oder Vernachlässigung in der Kindheit) sowie ungünstige Grundeinstellungen und Verhaltensmuster sind an der Entstehung bzw. Aufrechterhaltung beteiligt. Die negativen Erfahrungen führen zu konkreten Veränderungen im Gehirn.
Symptome: – Angst vor dem Verlassenwerden, – instabile, intensive Beziehungen, – Identitätsstörung (kein gefestigtes Selbstbild) , – Impulsivität, – Selbstverletzung und Suizid, – Instabile Gefühlslage, – Andauerndes Gefühl der inneren Leere, – Wut, – Aussetzer des Realitätsempfindens
Diagnose: Zumindest fünf der oben genannten Symptome müssen erfüllt sein, um eine Borderline Störung diagnostizieren zu können.
Therapie: Wie auch in anderen Beziehungen fällt es Menschen mit Borderline schwer, eine konstruktive, dauerhafte Therapiebeziehung einzugehen, und sie brechen Behandlungen häufig ab. Wichtig ist daher, Betroffenen das grundlegende Gefühl von Sicherheit zu vermitteln sich aktiv um sie zu bemühen. Als effektiv haben sich die Psychoanalytische und tiefenpsychologisch-fundierte Therapie, die Kognitive Verhaltenstherapie, die Traumatherapie und Familientherapeutische Ansätze erwiesen. Ergänzend können Antidepressiva, teilweise auch Neuroleptika und Stimmungsstabilisierer gegeben werden.
Prognose und Verlauf: Frühzeitig erkannt und adäquat behandelt ist die Prognose auf lange Sicht eher günstig. Gewisse Einschränkungen im Privaten und Beruflichen bleiben aber häufig weiter bestehen.
Wer behandelt das Borderline Syndrom? Ansprechpartner sind Fachärzte für Psychiatrie sowie Psychotherapeuten.
Was ist ein Borderline Syndrom?
Der Begriff Borderline (Grenzlinie) wurde in den 1930er Jahren für ein Krankheitsbild geprägt, das Experten damals weder der Gruppe der Neurosen noch der Psychosen zuordnen konnten. Heute gilt die Borderline Persönlichkeitsstörung nach dem Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eine Unterform der instabilen Persönlichkeitsstörung.
Charakteristisch für die Borderline Persönlichkeitsstörung sind impulsives Verhalten und starke Schwankungen in den Gefühlen, dem Selbstbild und zwischenmenschlichen Beziehungen. Es findet sich ein verzweifeltes Bemühen, ein tatsächliches oder vermutetes Verlassen Werden zu vermeiden. Das Muster zwischenmenschlicher Beziehungen ist durch einen Wechsel zwischen extremer Idealisierung und Abwertung gekennzeichnet. Betroffene leiden häufig unter weiteren psychischen Beeinträchtigungen und dissoziativen Symptomen. Letzteres bedeutet, dass sie sich selbst und ihre Umgebung als unwirklich erleben oder sich zeitweise nicht an Aspekte ihrer Vergangenheit erinnern können.
Aufgrund ihres impulsiven Verhaltens neigen Menschen mit Borderline dazu, sich selbst zu schaden oder in Gefahr zu bringen. Viele Betroffene betreiben Alkohol- oder Drogenmissbrauch und zeigen ein riskantes Verhalten etwa bei sexuellen Kontakten oder beim Autofahren. Häufig tritt auch das Phänomen des Sich selbst Verletzens (zum Beispiel Ritzen) auf, und ebenso kommen Suizidversuche häufig vor.
Ausgehend vom Begriff der instabilen Persönlichkeit werden der „Impulsive Typus“ und der „Borderline Typus“ unterschieden.
Der „Impulsive Typus“ neigt vor allem wegen impulsiven und unerwarteten Handlungen zu Streitereien und Konflikten, ist oft aggressiv und reizbar und leidet unter emotionaler Instabilität und mangelnder Impulskontrolle.
Der „Borderline Typus“ leidet zusätzlich zu den oben genannten Symptomen unter einer veränderten Wahrnehmung der eigenen Person und einem dauerhaften Gefühl der inneren Leere. Betroffene haben zudem instabile Beziehungen und eine Neigung zu selbstschädigendem Verhalten bis hin zur Suizidalität.
Etwa drei Prozent der Bevölkerung leiden an einer Borderline-Störung. Die Neigung zu Suizidversuchen ist sehr hoch und liegt bei 60 Prozent. Viele Betroffene leben oftmals in einer Form der chronischen Suizidalität, die das Leben unerträglich macht.
Ursachen
Man geht heute davon aus, dass genetische Faktoren einen wesentlichen Anteil an der Entstehung der Borderline Störung haben. Ebenso aber weiß man, dass bestimmte Lebenserfahrungen, ungünstige Grundeinstellungen und schädliche Verhaltensmuster für die Entstehung und Aufrechterhaltung solcher Störungen eine wichtige Rolle spielen. Zahlreiche Betroffene haben – oft schon in ihrer (frühen) Kindheit sexuelle oder körperliche Gewalterfahrungen gemacht und/oder wurden schwer vernachlässigt.
Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Erfahrungen zu konkreten Veränderungen im Gehirn führen. So wurden etwa Aktivitätsveränderungen in einem Bereich des Gehirns, der unter anderem für die Verarbeitung von Stress, Gefahrensignalen und Ängsten zuständig ist, beobachtet. Diese Gehirnstruktur ist bei Borderline Patienten kleiner und übererregbar. Auch in anderen Gehirnstrukturen zeigen sich Veränderungen, die für Fehlsteuerungen emotionaler Reaktionen verantwortlich sein dürften, und in bestimmten Gehirnsystemen finden sich – wie bei Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen – Auffälligkeiten sowie weiters eine höhere Empfindlichkeit der Stressachse.
Symptome
Das Hauptkennzeichen der Borderline Störung sind Probleme in der Regulierung der eigenen Gefühle und der Impulsivität. Folgende Symptome können auftreten:
- Angst vor dem Verlassenwerden: Charakteristisch ist ein verzweifeltes Bemühen, ein tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. Häufig sprechen Betroffene nicht über diese Angst, sondern verhalten sich unangemessen wütend.
- instabile, intensive Beziehungen: Typisch ist der Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Abwertung (Klammern und Wegstoßen).
- Identitätsstörung: Es ist kein gefestigtes Selbstbild mit festgelegten Einstellungen, Meinungen und Wertvorstellungen vorhanden. Die Identität wird je nach Gesellschaft unterschiedlich erlebt.
- Impulsivität: Impulsive Handlungen, die den Betroffenen Schaden zufügen, treten zumindest in zwei Bereichen auf – zum Beispiel beim Essen, beim Geldausgeben, beim Autofahren, beim Umgang mit Drogen oder Sexualität.
- Selbstverletzung und Suizid: Rund drei Viertel aller Borderline-Betroffenen fügen sich etwa durch Ritzen oder Schneiden der Haut Verletzungen zu. Suizid wird oft angedeutet oder versucht. Etwa jeder zehnte Betroffene begeht tatsächlich Suizid.
- Instabile Gefühlslage: Die Stimmung kann innerhalb weniger Stunden stark schwanken. Häufig kommt es zu Reizbarkeit, Ängstlichkeit, Depressionen und Wut.
- Andauerndes Gefühl der inneren Leere: Betroffene haben häufig das Gefühl, nicht zu wissen, wer sie sind, wenn sie alleine sind, und verlangen oft vom Partner, ihnen Orientierung zu geben.
- Wut: Die Ausbrüche sind heftig und unberechenbar, und es kommt zu Schwierigkeiten, diese Wut zu kontrollieren.
- Aussetzer des Realitätsempfindens: Betroffene können vorübergehend – insbesondere in Belastungssituationen – psychotische Symptome zeigen (zum Beispiel paranoide Vorstellungen und Halluzinationen).
Diagnose
Die Borderline Störung ist ein komplexes Krankheitsbild, das anhand verschiedener Verhaltensweisen und typischer Persönlichkeitszüge diagnostiziert wird. Insbesondere ein stark impulsives Verhalten und weiters ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in den Gefühlslagen, im Selbstbild und in den zwischenmenschlichen Beziehungen muss vorliegen. Diese Verhaltensweisen zeichnen sich meist schon in der Pubertät ab und zeigen sich über einen längeren Zeitraum.
Zumindest fünf der oben genannten Symptome müssen erfüllt sein, um eine Borderline Störung diagnostizieren zu können.
Therapie
Es gibt mehrere Therapiekonzepte, doch wie auch in anderen Beziehungen fällt es Betroffenen schwer, eine konstruktive, dauerhafte Therapiebeziehung einzugehen, und sie neigen dazu, auch Therapeuten sehr wechselhafte Gefühle entgegenzubringen und ändern ihre Haltung ihm oder ihr gegenüber oft abrupt (Idealisierung und Abwertung). Vor allem dann, wenn schwierige oder angstauslösende Themen angesprochen werden, reagieren sie oft aggressiv, ziehen sich zurück oder brechen die Therapie ab. Es ist daher besonders wichtig, eine gute tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen, in der Betroffenen das grundlegende Gefühl von Sicherheit vermittelt wird und man sich aktiv um sie bemüht.
Die Therapieformen im einzelnen:
- Psychoanalytische und tiefenpsychologisch-fundierte Therapie: Eine wichtige Rolle spielt dabei die so genannte Gegenübertragung. Das bedeutet, dass der Patient beim Therapeuten bestimmte Gefühle auslöst. Das wiederum kann dem Therapeuten Informationen über die Patienten geben, aus denen er wichtige Therapiestrategien ableiten kann.
- Bei so genannten konfrontativen Ansätzen wird stärker direkt an den Konflikten der Betroffenen gearbeitet und ihr typisches Verhalten analysiert und gedeutet. Diese Ansätze sind laut Hinweisen aus Untersuchungen aber vor allem bei schwer beeinträchtigten Patienten weniger geeignet.
- Bei so genannten supportativen Ansätzen steht dagegen ein einfühlsames, unterstützendes Verhalten des Therapeuten im Vordergrund, und die Therapie orientiert sich mehr an den Stärken und Bewältigungsmöglichkeiten der Patienten als an ihren Defiziten.
- Kognitive Verhaltenstherapie: Auch hier gibt es verschiedene Ansätze, als der wichtigste gilt die Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) nach Marsha Linehan, die Untersuchungen zufolge oft als Therapie der ersten Wahl bei Borderline Patienten angesehen wird. DBT zielt darauf ab, typische Verhaltensmuster der Betroffenen nach und nach zu verändern, und Gegensätze, die Patienten erleben, aufzulösen. Wichtig dabei ist auch die Aktivierung der Ressourcen der Patienten und die Förderung ihrer psychischen und sozialen Kompetenzen sowie das einfühlsame und fürsorgliche Verhalten des Therapeuten. Bei der DBT nehmen die Patienten sowohl an einer Einzel- als auch an einer Gruppentherapie teil.
- Traumatherapie: Sie setzt Ansätze aus der Traumabehandlung ein, da viele Borderline Patienten im Laufe ihres Lebens traumatische Erfahrungen gemacht haben und oft auch Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung zeigen. Am Beginn einer solchen Therapie steht die Stabilisierung der Betroffenen im Vordergrund, später werden oft spezifische Strategien eingesetzt, um die traumatischen Erlebnisse gezielt zu bearbeiten.
- Familientherapeutische Ansätze: Sie zielen darauf ab, ungünstige Beziehungsmuster in der Familie zu erkennen und durch geeignetere zu ersetzen.
Medikamentöse Behandlung
Psychopharmaka sind oft zur Ergänzung sinnvoll. Am häufigsten zum Einsatz kommen Antidepressiva aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI). Bei stark ausgeprägtem impulsivem Verhalten, Suizidtendenzen und psychotischen Symptomen wie Wahnvorstellungen werden teilweise auch Neuroleptika gegeben, und fallweise werden auch Stimmungsstabilisierer eingesetzt.
Prognose und Verlauf
Wenn die Borderline Störung frühzeitig erkannt, adäquat behandelt und die Therapie nicht abgebrochen wird, ist die Prognose auf lange Sicht eher günstig. Neuere Untersuchungen zeigen, dass nach sechs Jahren etwa 50 Prozent und nach zehn Jahren etwa 90 Prozent der Betroffenen die notwendigen Kriterien nicht mehr erfüllen. Gewisse Einschränkungen im Privaten und Beruflichen bleiben aber häufig weiter bestehen.
Wer behandelt das Borderline Syndrom?
Ansprechpartner sind Fachärzte für Psychiatrie sowie Psychotherapeuten. Für Angehörige empfiehlt sich beispielsweise die Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter (HPE).
https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/persoenlichkeitsstoerung/borderline-diagnose
https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/borderline/
https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/stoerungen-erkrankungen/borderline-stoerung/krankheitsbild/
https://www.therapie.de/psyche/info/index/diagnose/persoenlichkeitsstoerungen/borderline/
A. Sendera, M. Sendera: Borderline – die andere Art zu fühlen. Springer Verlag 2010 Wien.